Theologie und Frieden
I
Herausgegeben von Church &
Peace
Redaktion: Church & Peace -
Internationale Geschäftsstelle
1. Jahrgang, Heft 1 - August
1999
“Liebet Wahrheit und
Frieden” Sacharja 8,19b
Symposium anläßlich des
50jährigen Church & Peace - Jubiläums
Vorwort
Vom 28.-30. Mai 1999 fand aus
Anlaß des 50jährigen Bestehens der Church and Peace - Bewegung in
Bienenberg bei Basel ein Symposium statt.
Es waren die schlimmen Erfahrungen
zweier Weltkriege, die 1949 Vertreter und Vertreterinnen aus den Historischen
Friedenskirchen und aus den europäischen Kirchen zusammenbrachten, um
danach zu fragen, wie die Kirchen in Zukunft Kriege verhindern können
anstatt sie theo-logisch zu rechtfertigen.
Im Laufe dieser Gespräche in den
Puidoux-Konferenzen zeigte sich, daß diese Frage nicht nur das
friedensethische Handeln der Kirchen betrifft, sondern viel grundsätzlicher
die Gestalt und Existenzweise der Kirche selbst. Welche Gestalt muß Kirche
haben, um ein Ort der Versöhnung und des Miteinanderteilens zu werden, wo
das Prinzip der aktiven Gewaltfreiheit als eine der grundlegenden Lehren Jesu
gelebt wird und die Kirche zum Dienst gewaltfreien Friedenstiftens führt?
In den vergangenen 50 Jahren ist aus
diesen Dialogen ein europäischer und ökumenischer Zusammenschluß
von Historischen Friedenskirchen, Gemeinden, christlichen Gemeinschaften,
Kommunitäten und Friedens-diensten hervorgegangen, der seit 1975 den Namen
“Church and Peace“ trägt.
Niemand ahnte wirklich bei der
Vorbereitung des Jubiläums, daß Ende dieses Jahrhunderts Europa einen
weiteren schlimmen Krieg erleben würde, den erneuten Krieg im ehemaligen
Jugoslawien. So bekam das Motto unseres Symposiums “Liebet Wahrheit und
Frieden“ (Sacharja 8,19b) eine ungewollte Aktualität.
Die vorliegende Dokumentation zeigt,
daß dieser Krieg, die Suche nach der Wahrheit und die Frage nach unserer
Verantwortung als Christen den inhaltlichen Schwerpunkt des Symposiums bildeten.
Eine gute Über-sicht über den Gesamtverlauf des Symposiums bietet der
Beitrag von Ruth Winsemius. Die Ergebnisse des Dialogforums sind in einer
Thesenreihe zusammengefaßt.
In seiner Predigt betonte Dr. Keith
Clements, was Wahrheits- und Friedensliebe als Aufgabe der Kirchen in einem
solchen Konflikt konkret heißt. Von den Erfahrungen seiner Gespräche
in Belgrad wies der Generalsekretär der KEK auf die Notwendigkeit einer
“teuren Ökumene“ hin.
Vorangestellt ist die Erklärung von
Bienenberg, auf die sich die Teilnehmenden während des Festgottesdientes
verpflichtet haben, um das gemeinsame friedenskirchliche Anliegen unter dem
Eindruck der aktuellen Geschehnisse zu bekräftigen.
Christian Hohmann,
Generalsekretär
Bienenberg Erklärung
“Wir versuchen ein Licht für
die Menschen zu sein”
Ruth Winsemius
“Ich weiß wohl, WER die
Wahrheit ist, aber ich weiß nicht, WAS die Wahrheit ist".
Wie ein Cantus Firmus klang die
seufzende Stimme der Serbin Jasmina Tosic durch das Stimmengewirr auf der Tagung
von Church and Peace auf dem Bienenberg am letzten Maiwochenende. Anlaß
fur dieses inten-sive Symposium war der 50. Geburtstag von Church and Peace.
Friedensarbeiterinnen und Friedensarbeiter verschiedener Nationalitäten
trafen sich im Schweizer Tagungszentrum Bienenberg und tauschten Erfahrungen
aus. Den mit Abstand tiefsten Eindruck jedoch hinterließen die
teilnehmenden Serben, die direkt aus Belgrad angereist waren, um über
"ihren" Krieg zu berichten, einen Krieg, den vielleicht niemand gewollt
hat.
Fassungslosigkeit, Angst,
Ungläubigkeit und vor allem die bange Frage: Wie soll es weitergehen?
Wieviel mehr wird in unserem Land noch zer-stört werden? Was wird passieren
mit unseren Familien, unserem Volk? Werden wir übermorgen überhaupt
noch am Leben sein? Ungläubiges Staunen darüber, dem Krieg für
kurze Zeit entkommen zu sein, morgen jedoch wieder zurück zu müssen -
all das konnte man in den Augen der serbischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer
lesen, vor allem aber in Jasminas Augen, einer der beiden Koordinatorinnen der
"Bread of Life"-Organisation. Bomben auf Belgrad? Das macht die NATO nie. So
dachte sie noch, als bereits die ersten Bomben fielen. Sie war gerade dabei,
einem Amerikaner (!) am Telefon ein Interview über die Situation in ihrem
Land zu geben. Ihr Bruder rüttelte sie auf, nahm ihr den Hörer ab und
teilte dem amerikanischen Gesprächspartner mit: "Das Bomben hat begonnen."
Dann legte er auf.
Zur Entstehung von Church and
Peace
Selbst nach 50 Jahren versteht sich
Church and Peace noch immer ausdrücklich als Bewegung, als ein Netz von
Friedenskirchen und Friedensgruppen innerhalb der Kirchen und nicht als
Organisation. Das wurde deutlich in den beiden Interviews mit Zeitzeugen.
Befragt durch Anita Thomas (Versöhnungsbund in der frankophonen Schweiz)
erläu-terte Wilfried Warneck, einer der Männer der ersten Stunde, wie
Church and Peace auf Initiative einiger Amerikaner (u.a. R. Zigler) und Briten
nach dem Ende des zweiten Weltkrieges in Anlehnung an eine vergleich-bare
Bewegung in den USA, wo vor allem die Theorien des Mennoniten Harold Bender
großen Einfluß hatten, entstanden ist. Durch die Nachfolge Jesu
Christi wird das Reich Gottes Gestalt annehmen. Jesus ging es um die Verlorenen,
die Armen. Sie waren es, die er zu sich an den Tisch bat. Jesus lehrte auch, die
Feinde anzunehmen und keine Gewalt anzuwenden, weder beim Kriegsdienst noch in
anderen Strukturen. Nur so kann Friedensgemeinde entstehen. Sie unterscheidet
sich von den anderen Kirchen u.a. darin, daß ihre große Versuchung
nicht darin besteht, der existierenden gewaltgeprägten Gesellschaft zu
einer reli-giösen Grundlage verhelfen zu wollen. Sie versteht sich vielmehr
von vornherein als Kontrast dazu. Die Anfangsjahre von Church und Peace - die
Konferenzen von Puidoux - lösten bei den teilnehmenden Theologen viel
Bewegung aus, hatten sie doch bisher in ihren Studien noch nicht viel Positives
über die Mennoniten oder Quäker gehört. Laut Wilfried Warneck
haben die Ideen der Historischen Friedenskirchen ihren Einfluß auf die
Großkirchen nicht verfehlt, so daß stellenweise auch hier eine
ähnliche Entwicklung in Gang kam, die jedoch dringend der Vernetzung
bedurfte.
So reisten zum 50. Geburtstag von Church
and Peace nicht nur Vertreterinnen und Vertreter von Mennonitengemeinden und
Quäkern, sondern auch von ökumenischen Kommunitäten und
Lebensgemein-schaften an, ferner Protestanten, Katholiken und sogar etliche
Orthodoxe aus Ost-Europa. Wilfried Warneck bedauerte es, daß es in
Jugoslawien keine Historischen Friedenskirchen gebe. Aber erfreulicherweise
seien dort Freiwillige aus dem Bereich der Historischen Friedenskirchen
präsent. Denn hätte es solche Friedenskirchen gegeben, hätten
seiner Meinung nach weniger Menschen in diesem Land zu den Waffen gegrif-fen.
Dann hätten mehr Menschen die Prinzipien der "sozialen Verteidigung"
angewandt und die Vertreter militärischer Option ein nicht so leichtes
Spiel gehabt. Auf die Schlußfrage der Interviewerin Anita Thomas nach
Wilfried Warnecks derzeitig größtem Wunsch ant-wortete er: Ein
permanentes Puidoux oder ein Friedenskonzil, an dem sich alle Kirchen
beteiligen.
Aus Feinden werden
Freunde
Wie können all die Theorien
praktisch umgesetzt werden? Um eben diese Frage ging es in einem weiteren
Gespräch, wiederum zwischen Jung und Alt, nämlich zwischen Pascal
Gentner, dem Sohn von EIRENE-Freiwilligen und selber ehemaliger Freiwilliger in
den USA, und Dr. Hildegard Goss-Mayr, die zusammen mit ihrem Mann Jean Goss
durch die Welt gereist ist und zu Gewaltfreiheit und Versöhnung an Orten,
wo diese Begriffe scheinbar jegliche Bedeutung verloren hatten, aufgerufen
hat.1
Hildegard Goss-Mayr weiß aus
eigener Erfahrung, daß erst die eigene Umkehr kommen muß. Wichtig
sei es auch, die "Zeichen der Zeit" zu beachten, z.B. zu analysieren, warum es
zu diktatorischen Systemen kommt und was daraus für das eigene Handeln zu
lernen ist. Ihrer Meinung nach hat sich die Gewaltlosigkeit in den
zurückliegenden 50 Jahren als das entscheidende Instrument zur
Bekämpfung von Unrecht erwiesen. An Beweisen dafür fehlt es nicht: Der
“eiserne Vorhang” ist gefallen, und auch in Süd-Amerika und auf
den Philippinen hat es funk-tioniert. "Wir setzten an der Wurzel an, bei den
Menschen. Wir machten revolutionären Kräften deutlich, daß
Solidarität notwendig ist. Die Gewaltfreiheit ist eine Kraft der
Versöhnung und Vergebung." Es reicht nicht aus, Unrecht zu bekämpfen,
man muß Alternativen aufzeigen, um so allmählich Strukturen zu
verändern und partnerschaftliche Beziehungen zwischen verfeindeten Gruppen
aufzubauen. Hildegard Goss-Mayr plädierte für kompetente
Friedensarbeiter, die in Kriegsgebieten arbeiten und an anderer Stelle zur
Prävention von Gewaltanwendung eingesetzt werden können.
Spiritualität und prakti-scher Einsatz gehören absolut zusammen", so
die Referentin. Und doch sind sie und ihr Mann auch an Grenzen gestoßen.
"Wenn man alles getan hat, was man tun konnte, muß man das Weitere Gott
überlassen."
Wahrheitsfindung im Blick auf den
Balkankrieg
Dazu hatte Church and Peace ein eigenes
Dialogforum organisiert: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Podiums kamen
aus den unter-schiedlichsten Gruppierungen: Hansulrich Gerber, (Mennonite
Central Committee MCC, Schweiz), Prof. Dr. Ulrich Duchrow (Kairos Europa,
Heidelberg), Karel Eilers (Pax Christi International, Brüssel),
Marie-Pierre Bovy (Communauté de l'Arche, Frankreich), Janko Jekic
(Baptist, Bread of Life, Belgrad), Gyula Simonyi (BOKOR, eine katholische
Basisbewegung in Ungarn) und Cor Keizer (Reformierte Kirche in Enschede,
Niederlande) und Christian Hohmann (Church and Peace) als Moderatoren. Obwohl
auch die anderen Krisengebiete unserer Welt nicht vergessen und in die
Fürbittengebete während des Wochenendes einge-schlossen wurden, war
der so nahe Krieg im ehemaligen Jugoslawien doch das beherrschende Thema der
Diskussion. Wie beurteilen wir die Situation auf dem Balkan, und was können
wir tun? Schaffen wir es, eine Erklärung an unsere Regierungen, Kirchen und
Gemeinden zu verab-schieden? Diese Fragen wurden zu Beginn von den beiden
Moderatoren gestellt.
Marie-Pierre Bovy berichtete von einer
Fastenaktion, die ihre Gemeinschaft drei Wochen lang bis zum 3. Juni
durchführte, mit festen Gebetszeiten am Morgen und am Abend. Diese Aktion
verfolgt sowohl politische als auch geistliche Ziele. In einer
Presseerklärung drückte die Communauté de l’Arche ihr
Bedauern darüber aus, daß der albanische Oppositionsführer
Rugova nicht stärker unterstützt wurde. Nun sei ein Problem
entstanden, dass noch lange Zeit bestehen würde.
Janko Jekic berichtete von der
Gründung von Bread of Life. Alles begann 1992 mit der Unterstützung
von 10 Frauen. In den letzten 3 Jahren wurden 5000 Familien auf die eine oder
andere Weise unterstützt. Nach Ausbruch des Krieges im Kosovo brachte Bread
of Life unter großem Risiko auch dorthin Hilfsgüter, um sie unter
Serben und Albanern zu verteilen. Im Laufe der zunehmenden Bombenangriffe sind
jedoch alle Kontakte vorläufig abgebrochen. Die Mittel sind knapper
geworden, nicht nur militärische Ziele, sondern auch Lebens- und
Arzneimittel-fabriken wurden von Bomben getroffen. Wie in jedem Krieg ist es
sehr schwierig, die Wahrheit zu erfahren. Janko Jekic erzählte von
verblüf-fenden Unterschieden in den diversen Berichterstattungen, wenn er
z.B. die Nachrichten von CNN oder deutschen Sendern mit denen aus Serbien selber
vergleichen würde.
Gyula Simonyi ist Mitglied der
römisch-katholischen Friedensbewegung BOKOR, die seit gut 50 Jahren besteht
und längerfristig arbeitet. Viele ihrer Mitglieder haben im Gefängnis
gesessen. BOKOR erstellt Konzepte für Ausbildungsprogramme zur
Friedensarbeit und setzt u.a. eine eigene Website ein, um die Ideen der Bewegung
zu verbreiten.
Karel Eilers erzählte, wie Pax
Christi unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg als Laienbewegung innerhalb der
römisch-katholischen Kirche mit dem Ziel der Versöhnung zwischen
Franzosen und Deutschen entstanden ist, etwas Unerhörtes, so kurz nach dem
Krieg. Mittlerweile ist Pax Christi nicht nur in Europa, sondern auch in
Lateinamerika, Afrika und Asien tätig. Der deutsche Pax Christi - Zweig
setzt sich im Moment für eine Unterbrechung der Bombenangriffe der NATO
ein, um Gespräche zu ermöglichen, denn "Luftangriffe steigern nur den
Haß."
Kairos Europa analysiert die
Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Ländern des Nordens und des
Südens, des Ostens und des Westens und geht den Ursachen für das
Entstehen von Gewalt nach. Ulrich Duchrow ist überzeugt davon, daß
auch in Jugoslawien wirtschaftliche Beweggründe bei den Luftangriffen
entscheidend mitgespielt haben. Im übrigen arbeitet Kairos Europa auch
Alternativvorschläge zur Bewahrung der Schöpfung aus. Dazu gehört
besonders das Europäische Kairos-Dokument, das bisher in 11 Sprachen
übersetzt worden ist.
Es darf davon ausgegangen werden,
daß das Hilfswerk MCC allgemein bekannt ist. Nichtsdestotrotz kann nicht
oft genug betont werden, daß der Erfolg der MCC-Arbeit entscheidend von
der intensiven Zusammenarbeit mit lokalen Partnern in den Einsatzgebieten
mitbe-stimmt wird. Auch während des Symposiums wurden Kontakte
geknüpft, die hierfür sehr nützlich sein werden. Wegen der
Bomben-angriffe habe das MCC seine eigenen Mitarbeiter aus Serbien abgezogen,
arbeite aber mit Bread of Life zusammen, so Hansulrich Gerber.
Zur Rolle der NATO
Aus dem Saal kamen viele Reaktionen und
Berichte. Die albanischen Flüchtlinge aus dem Kosovo wurden natürlich
nicht vergessen: Eine der Anwesenden hatte "ihr Brot gegessen und ihre
Tränen getrunken." Sie forderte die Friedensgruppen auf, Kontakte
aufzunehmen zu den Organisationen der Albaner in den verschiedenen Ländern.
"Wir müssen versuchen, in Montenegro und Mazedonien das zu verhindern, was
im Kosovo passiert ist."
Wie sehr die NATO mit dem Feuer spiele,
zeigte Ionel Popescu, orthodoxer Priester und Direktor des theologischen
Seminars in Caransebes, aus dem an Serbien angrenzenden Rumänien.
"Rumänien und Serbien haben nie gegeneinander gekämpft. Die NATO
fliegt nun über Rumänien nach Serbien. Viele Rumänen glauben,
daß die NATO mit den Bombenangriffen einen Fehler macht. Als Bill Clinton
in Rumänien war, wollten die Rumänen NATO-Mitglied werden. Jetzt
dagegen wird gegen die NATO demonstriert. Auch in ökologischer Hinsicht
sind die Angriffe eine Tragödie. An der Grenze leidet die Natur, die
Pflanzen sehen schlecht aus und die Menschen fühlen sich nicht gut. Die
Rumänen wollen den Menschen in Serbien gerne helfen." Clemens Ronnefeldt
wies darauf hin, daß die NATO vom neutralen Mittler zur Konfliktpartei
wurde. Das unterstütze die neue NATO-Doktrin.
Licht für andere
Die ganze Zeit über hatten die
anderen anwesenden Mitarbeiter von Bread of Life nur zugehört, Abends war
es dann an ihnen, zu berichten und Fragen zu beantworten. Janko Jekic
erzählte, daß Mennoniten und andere christliche Organisationen von
Beginn der Krise an Hilfe geleistet hätten. Alexandar Schaub, ein
Freiwilliger von Bread of Life, berichtete von 240 protestantischen
Kosovo-Albanern, die man aus den Augen verloren habe. 40 von ihnen seien vor
kurzem in Mazedonien aufgetaucht, von den übrigen fehle jede
Spur.
Dr. Keith Clements (Generalsekretär
der Konferenz Europäischer Kirchen, KEK) war Samstag gerade aus Belgrad
zurückgekehrt. Im Rahmen einer dreiköpfigen Delegation hatte er mit
Präsident Milosovic und dem russischen Unterhändler Tschernomyrdin
gesprochen. Parallel dazu reiste im Rahmen diplomatischer Initiativen ein
kleines Team nach Wien und Moskau, "um den Dialog am Laufen zu halten und auf
beiden Seiten zu vertiefen." Jasmina Tosic erläuterte die Rolle von Bread
of Life in Belgrad: "Wir versuchen, ein Licht für die Menschen zu sein. In
Sprüche 31 steht, daß wir unseren Mund öffnen sollen für
die Menschen, die nicht für sich selbst sprechen können. Wir helfen
Menschen, die Opfer geworden sind von Menschen, die herrschen wollen. Wir geben
den Hungrigen zu essen. Ich half Menschen aus anderen Regionen und hörte
mir ihre Geschichte an. Jetzt muß ich aber auch meine eigene Familie
unterstützen. Meine Mutter ist krank, mein Vater hält all das Unrecht
nicht aus. Mein Bruder wird vielleicht als Soldat eingezogen, wenn die
Mobilisierung beginnt... Und während dieser Zeit werden die Albaner
überallhin vertrieben, das ist schrecklich. Ich weiß nicht, was ich
über die Zukunft sagen soll. Am liebsten wäre mir, die NATO-
Bombenangriffe würden sofort aufhören." Die Geste von
Marie-Noëlle von der Recke, Vorsitzende von Church and Peace, während
des Gottesdienstes am Sonntag war ergreifend und ausdrucksstark zugleich:
schweigend legte sie den Serben einen seidenen Schal um die Schultern. Als
Trost, als Zeichen des Mitgefühls, als Erinnerung an ein Symposium, das
mehr als je zuvor bezeugt, daß Frieden nicht mit Gewalt erkämpft
werden kann.
Übersetzung: Christina
Stobbe
Ruth Winsemius ist Journalistin für
das Blatt ADS (Mennoniten in den Niederlanden).
Anmerkungen
1 Vgl. Hildegard Goss-Mayr: Wie Feinde
Freunde werden. Mein Leben mit Jean Goss für Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit
und Versöhnung, Pax Christi-Meinhardt 1996
Erklärung des Dialogforums
Während des Symposiums fand am
Nachmittag des 29. Mai 1999 ein Dialogforum statt zum Thema: Gemeinsame
Verantwortung in einem sich verändernden Europa - wie reagieren wir auf
Krieg, Völkermord und Vertreibung auf dem Balkan?
Ruth Winsemius hat in ihrem Beitrag
darüber berichtet.
Um die Ergebnisse dieses Dialogforums
der Öffentlichkeit bekannt zu geben, hatten die beiden Moderatoren, Pfarrer
Cor Keijzer und Pastor Christian Hohmann, eine Presseerklärung vorbereitet,
die von den meisten der rund achtzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer positiv
aufgenommen wurde. Infolge einiger Überarbeitungen, die noch notwendig
waren, konnte sie nicht mehr rechtzeitig an die Presse gegeben
werden.
Deshalb soll diese Erklärung hier
in Form von Thesen bekannt gegeben werden:
Erklärung des
Dialogforums
Unsere heutige Versammlung hat drei
Ergebnisse hervorgebracht:
(1) Viele unserer Herkunftsländer
befinden sich gegenwärtig in einer Kriegssituation. Die
NATO-Streitkräfte haben ohne eine Kriegserklärung in eine durch
wiederholte Greueltaten und ethnische Vertreibungen sich zuspitzende
Krisensituation im Kosovo militärisch eingegriffen und damit faktisch eine
Eskalation dieser Vertreibungen und des Völkermords im Kosovo
erzielt.
Als Menschen, die zu einem großen
Teil aus NATO-Ländern kommen, sind wir für diese Entwicklung
mitverantwortlich.
Als Christinnen und Christen
können wir keine Form des Krieges rechtfertigen. Deshalb möchten wir
den Militäreinsatz der NATO nicht als eine “humanitäre
Intervention“ verharmlosen. Mehr als sonst sind wir jetzt dazu aufgerufen,
das Evangelium zu verkündigen.
Das erste dieser Botschaft ist ein
deutliches Nein gegen den Krieg und alles, was zum Krieg führt:
Ungerechtigkeit, Vertreibung, Diskriminierung ethnischer Minderheiten und
Völkermord.
Es ist zugleich ein deutliches Ja zu
allen Initiativen, die zum Frieden führen: Dazu gehört die
Unterstützung der zahlreichen Friedensgruppen und
Versöhnungsinitiativen, die sich seit Jahren im früheren Jugoslawien,
aber auch in anderen Krisenregionen um Frieden, Verständigung und
Wiederaufbau bemühen.
(2) In einem Krieg kommt es darauf an,
die ganze Wahheit zu sehen und zu sagen. Das betrifft vor allem die
Berichterstattung, die in Kriegszeiten schnell auf allen Seiten manipuliert
wird.
Deshalb bemühen wir uns als
christliche Friedensinitiativen um Wahrheitsfindung, denn sie ist die erste Form
der Deeskalation und der erste Schritt auf dem Weg zum Frieden.
Unser Bemühen als Mitglieder und
Freunde von Church and Peace besteht darin, bei der Wahrheitsfindung zu helfen,
indem wir versuchen, alle Betroffenen des Krieges zu Wort kommen zu
lassen.
Dazu gehört auch eine Analyse der
gegenwärtigen Kriegssituation durch unabhängige Personen wie z.B. die
Beobachter und Beobachterinnen der OSZE oder Mitglieder von unabhängigen
Friedensinitiativen, um die Wahrheit und die Komplexität der gesamten
Situation zu erkennen. Unser Zugang zu dieser Wahrheitsfindung ist das
versöhnende Handeln Gottes, wie es im Evangelium bezeugt
wird.
Es gibt keine Versöhnung ohne
Wahrheitsfindung, was uns das Beispiel Südafrikas und die Bemühungen
der südafrikanischen Wahrheitskommission zeigen.
Wir bedauern, daß die
gegenwärtige Berichterstattung so einseitig ist: Es ist nicht wahr, wie
behauptet wird, daß es in der jetzigen Situation nur die Wahl gibt
zwischen der Fortsetzung der Bombardements und einem tatenlosen
Zusehen.
Darüberhinaus erweckt die
Berichterstattung gegenwärtig den Eindruck, daß nur im Kosovo
Völkermord und Vertreibung geschehen. Der Blick auf vergleichbare
Krisenherde in Kurdistan, im Sudan, in Zentralafrika, in Angola und Indonesien,
um nur einige Beispiele zu nennen, wird zur Zeit in der Berichterstattung
weithin ausgeklammert.
(3) Wir rufen die verantwortlichen
Politiker auf, verstärkt in Friedens-initiativen zu investieren, die
bereits aktiv an der Überwindung von ethnischen Konflikten und einer
entsprechenden Deeskalation arbeiten.
Wir fordern eine größere
Bereitschaft, finanzielle Mittel für den Ausbau und die Verstärkung
der zivilen Konfliktbearbeitung zur Verfügung zu stellen. Die Bereitschaft,
Geld für Bomben auszugeben, ist vergleichs-weise größer als
genügend finanzielle Mittel für die von Bombardements und Vertreibung
betroffenen Menschen und für den notwendig gewordenen Wiederaufbau nach
Beendigung des Krieges bereitzustellen.
Wir fordern auch die Anerkennung von
Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren, die sich den Befehlen eines
menschenverachtenden Regimes verweigern und rufen dazu auf, ihnen in unseren
Ländern Asyl und ein vorläufiges Bleiberecht zu
gewähren.
“Liebet Wahrheit und Frieden”
Dr. Keith
Clements
Predigt des Festgottesdienstes
während des Symposiums anläßlich des 50jährigen
Jubiläums von Church & Peace
Sacharja 8,19b “Liebet Wahrheit
und Frieden.”
Fünfzig Jahre sind eine lange Zeit,
doch einige von uns hier werden sich noch an 1949 erinnern können. Damals
war ich ein kleiner Junge. Ich muß bekennen, ich kann mich nicht
entsinnen, daß die Gründung von Church and Peace (und eigentlich auch
nicht die der NATO) sich auf meine kindliche Denkweise ausgewirkt hätte.
Etwas anderes hingegen tat es umso mehr: In jenem Jahr brachten meine Eltern
meine Brüder und mich für die Sommerferien von unserem Haus im Norden
Englands ins Haus meiner Großmutter nach London. Eines Abends sprachen die
älteren Familienmitglieder über den Krieg, der vier Jahre zuvor
beendet worden war: über die Bombardierung Londons, über die
Häuser in genau dieser Straße, die zerstört worden waren,
über die nahegelegenen Gebäude, die tagelang gebrannt hatten, und
über die Furcht, die sich immer bei einbrechender Dunkelheit einstellte. An
diesem Abend ging ich ziemlich verängstigt zu Bett. Ein paar Tage
später stellte ich meinem Vater eine Frage, die mich seitdem verfolgte:
“Papa, wie lange dauert ein Krieg?” Ich hatte erwartet, daß er
etwas wie “drei Wochen” sagen würde, was für mich zu jener
Zeit schon unvorstellbar lang gewesen wäre. Als er dann sagte: “Nun,
dieser Krieg dauerte etwa sechs Jahre”, konnte ich das einfach nicht
glauben. Dies war vermutlich einer der Momente, als ich der Wahrheit über
diese Welt, in die ich hineingeboren worden war, ein Stück näher
kam.
Erst vor fünf Wochen stand ich nach
Einbruch der Dunkelheit im Zentrum Belgrads und sah die Flugabwehrraketen, wie
sie in den nächtlichen Himmel aufstiegen. Ich hörte die Geräusche
explodierender Geschosse und sah bei Tageslicht zerbombte Brücken,
ausgebrannte Gebäude und Rauchwolken brennender Öl-Raffinerien. In
gewisser Weise fühlte ich mich wieder genauso wie der kleine Junge damals.
Konnte so etwas wirklich heutzutage in Mitteleuropa geschehen? Dasselbe,
worüber meine Eltern und Großeltern gesprochen und womit die
Kriegsbücher und -filme meiner Jugend mich unterhalten hatten? Nicht zu
vergessen die entsetzlichen Geschichten, die die Flüchtlinge
erzählten, die aus dem Kosovo strömten. Ein Teil in mir sagte,
daß dies nicht wahr sein konnte. Ein anderer Teil in mir sagte: “Ja,
so sieht die Welt tatsächlich aus”. Ähnlich fühlte ich
mich, als wir vergan-gene Woche erneut dort waren, um Präsident Milosevic
zu treffen.
Wahrheit und Frieden. So oft fühlen
wir uns gedrängt, Wahrheit und Frieden gegen-einander zu setzen. Wie
können wir zum einen die Welt so sehen, wie sie tatsäch-lich ist, und
dennoch weiter-hin an den Frieden als den “Soll-Zustand” der Welt
glauben? Dies ist die Heraus-forderung, der eine Organi-sation wie Church and
Peace gegenübersteht, insbesondere an ihrem 50jährigen Jubiläum.
Es ist, so hoffe ich, eine Herausforderung, der sich alle Kirchen
gegenübergestellt fühlen, insbesondere die Kirchen im
gegenwärtigen Europa: Es ist der Gegensatz von Realitäten
gegenüber Idealen, von bitteren Erfahrungen gegenüber Visionen, von
den Reichen dieser Welt auf der einen und dem Reiche Gottes auf der anderen
Seite - es scheint, daß wir endlos in dieses Dilemma verstrickt
sind.
Natürlich können wir daraus in
zwei Richtungen entfliehen: Zum einen können wir für die Seite Partei
ergreifen, die uns als Realität erscheint: die Welt ist ein schlechter Ort,
und wir können daher höchstens das Beste aus etwas ohnehin Schlechtem
machen, das kleinere von zwei Übeln wählen, uns zögernd am Krieg
beteiligen, wenn wir nur genügend Gründe finden, ihn als
“gerecht” zu bezeichnen. Zum anderen können wir uns in einem
sicheren, bergenden Hafen voller Träume an unsere Ideale, Hoffnungen und
Friedensvisionen klammern, dabei der Begeg-nung mit der Welt, wie sie ist,
ausweichen und die Welt beschuldigen, daß sie nicht uns folgt und deshalb
unweigerlich in dem Chaos enden muß, in dem sie sich schließlich
befindet.
Wenn die christliche Kirche jedoch ihren
Glaubenssätzen treu sein will, kann sie keinen dieser beiden Auswege
wählen. Wir haben einen “fleisch-gewordenen” Glauben:
“Das Wort wurde Fleisch” (Johannes 1,14). Gottes eigenes Wesen wurde
Teil der Welt, die Gottes Wesen selbst erschaffen hat, um sie zum wahren Leben
zu führen. Irenäus formulierte es im zweiten Jahrhundert so: “Er
wurde zu dem, was wir sind, damit wir zu dem werden können, was er
ist.” Wenn wir über Wahrheiten sprechen sollen, so ist dies für
uns als Christen die Grundwahrheit. Der Dichter T.S. Eliot hat es treffend
formuliert, als er schrieb, daß “die Menschheit nicht sehr viel
Realität ertragen kann”.1 Wenn aber die Fleischwerdung für uns
die fundamentale Wahrheit ist, dann sollten wir uns nicht scheuen, selbst den
häßlichsten Wahrheiten über unsere Welt ins Auge zu schauen.
“Liebet Wahrheit und
Frieden.” Wir können dann davon ausgehen, daß Wahrheit und
Frieden nicht gegeneinander gesetzt zu werden brauchen. Wahrheit ist eine
Voraussetzung für Frieden. Südafrika hat uns hier durch die von
Erzbischof Tutu geleitete Wahrheits- und Versöhnungskommission ein
großartiges Beispiel gegeben. Die Wahrheit auszusprechen ist Teil des
Friedensprozesses. Nur wenn über die Vergangenheit die Wahrheit gesprochen
wird, kann es echte Hoffnung für zukünftigen Frieden geben. Nur wenn
die Wunden bloßgelegt werden, kann es Heilung geben. Nur wenn die
Sünden bekannt werden, kann es Vergebung und Versöhnung geben. Dies
läßt sich leicht sagen; denn diesen Prozeß wirklich in der
Praxis zu vollziehen, kann schmerz-haft und kostspielig sein - und er dauert
lange. Das letzte Mal bin ich vor drei Jahren in Südafrika gewesen, als ich
den Internationalen Bonhoeffer-Kongreß in Kapstadt besucht habe. Viele
Menschen haben im Kampf gegen die Apartheid aus dem Zeugnis Dietrich Bonhoeffers
gegen den Nationalsozialismus Inspiration und tiefe Einsichten gewonnen. Nicht
weniger halten Bonhoeffer auch in der neuen Situation Südafrikas, wo
Menschen um Versöhnung ringen, weiterhin für maßgeblich. Dabei
geht es um eine Versöhnung, die sich auf Wahrheit gründen muß,
und das schließt ein Schuldbekenntnis ein. Im Laufe dieses Kongresses
lernte ich zwei Männer kennen, die gerade dabei waren, die ganze Tiefe
dessen zu entdecken, was es heißt, sich der Wahrheit zu stellen und ebenso
zu sehen, was ein solcher Prozeß kostet. Der eine war ein junger schwarzer
lutherischer Pastor. Als er noch ein Junge war, hatte seine Familie zu
denjenigen gehört, die im Zuge ethnischer Säuberungen aus Transvaal in
das sogenannte Homeland von Bophutatswana, d.h. in unvorstellbar
erbärmliche Verhältnisse abgeschoben wurden. Der andere war ein
weißer Afrikaner ungefähr gleichen Alters, ebenfalls aus Transvaal,
der aus sehr privilegierten Verhältnissen stammte. Er war gerade im
Begriff, der strengen Erziehung innerhalb der Niederländisch-Reformierten
Kirche zu entkommen. Er erzählte mir, daß ihm erstmals die Augen
für die Wirklichkeit, die sich in seinem Lande abspielte, geöffnet
wurden, als er hoffte, Pfarrer in der Niederländisch-Reformierten Kirche zu
werden, und ihm damals mitgeteilt wurde, er könne erst dann ordiniert
werden, wenn er seinen Militärdienst abgeleistet hätte. Hier waren
also zwei junge Männer, beide mit guter Erzie-hung und beide voll guten
Wil-lens, die zeigten, daß sie durch die Teilnahme an diesem Kongreß
ein gemeinsames theologisches Interesse teilten. Man hätte sich vorstel-len
können, daß beide sich auf Anhieb gut verstanden
hätten.
Das war jedoch nicht der Fall.
Nacheinander berichteten mir die beiden von ihrem Gespräch miteinander und
wie angespannt und hitzig es für beide Seiten wurde. Der schwarze
Lutheraner hatte wissen wollen, wieso ein Weißer nichts davon gewußt
haben sollte, was mit seinem Volk ge-schehen war? Wußten es deine Eltern
nicht? Wollten sie es denn über-haupt wissen? Auf Seiten des
Niederländisch-Reformierten wurde es als schmerzlich empfunden, daß
keine Erklärungen und keine Entschuldi-gungen (bei seinem
schwarzafrikanischen Kollegen) auszureichen schie-nen. Die Wut erzeugte wiederum
Frustration. Doch die beiden standen es durch. Sie verließen den
Kongreß im Begriff, Freunde zu werden und verabredeten, sich bald wieder
zu treffen. Die Wahrheit auszusprechen und die Wahrheit zu hören ist teuer.
Und es braucht Zeit.
Wir können dasselbe auch vor
unserer eigenen Haustür feststellen. Als drei von uns2 vor fünf Wochen
von Genf aus nach Belgrad reisten, bestand der Hauptgrund unseres Besuches
darin, uns mit den Leitern der dortigen Kirchen zu treffen, insbesondere der
serbisch-orthodoxen Kirche, um uns über unsere Wahrnehmungen und
Einstellungen zu diesem Konflikt auszutauschen, besonders zu dem, was im Kosovo
selbst geschieht. Diese Begegnung war eine Übung in ökumenischem
Dialog. Wenn es, wie Dietrich Bonhoeffer uns lehrte, so etwas gibt wie
“billige Gnade”3, dann gibt es auch so etwas wie “billigen
Ökumenismus”, der uns nichts kostet. Vor allem in westlichen Kreisen
gibt es Vorwürfe gegen die Position der serbisch-orthodoxen Kirche im
besonderen. Die Versuchung liegt nahe, sich eines der beiden folgenden
Ansätze zu bedie-nen: Entweder aus sicherer Entfernung - sozusagen
Marschflugkörpern gleich - Kritik “abzufeuern” oder sich der in
Frage gestellten Kirche anzubiedern und sie zu beschwichtigen: “Alles ist
in Ordnung, wir alle sind wirklich gute Christen”. Beide Ansätze
kosten uns nichts. Es sind Formen eines “billigen” Ökumenismus.
Weitaus schwieriger ist es in der Tat, sich im persönlichen, ehrlichen
Gespräch zu begegnen und zu riskie-ren, die andere Kirche mit dem, was man
für Wahrheit hält, herauszu-fordern. Gleichzeitig geht man damit auch
das Risiko ein, sich umgekehrt von der anderen Seite herausfordern zu lassen.
Das ist “teure” Ökumene. Und ich für meinen Teil hoffe,
daß die KEK immer mit dieser “teuren” Form der Ökumene
identifiziert werden wird.
Deshalb müssen wir genau
hinhören, was uns unser Text sagt: “Liebt Wahrheit und
Frieden”: Das heißt, Wahrheit und Frieden nicht nur zu suchen,
dafür zu arbeiten oder herzustellen versuchen, sondern sie
tat-sächlich zu lieben. Als die hebräische Bibel ins Griechische
übersetzt wurde, be-nutzten die Übersetzer der Version, die uns als
die Sep-tuaginta bekannt ist, für “lieben” ein griechi-sches
Wort, das später in den christ-lichen Schriften das Wort für
“Liebe” schlechthin wurde: agape, die Liebe mit der speziellen
Qualität des Sich-Hingebens zum Wohle des anderen. Nicht die Liebe, die den
anderen einfach attraktiv oder anziehend findet, sondern die Liebe, die bereit
ist, zum Wohle des anderen keinerlei Kosten zu scheuen. Die Liebe, die vor allem
im Leben und im Sterben Jesu sichtbar wird. Liebt Wahrheit und Frieden auf diese
Weise, liebt beide auf diese Weise. Wir können noch weiter gehen. Die Liebe
Jesu ist eine Liebe, die sich total mit dem anderen identifiziert: “Er
trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen [...] und wurde unter
die Übeltäter gerechnet” (Jesaja 53,4.12). Oder wie es der
Apostel Paulus formulierte: “Er, der von keiner Sünde wußte,
wurde für uns zur Sünde gemacht” (2. Korinther 5,21). Agape -
Liebe ist eine Liebe, die mit dem anderen eins wird und sich von dem anderen
nicht mehr unterscheiden läßt. Wir sollen es riskieren, selbst
Wahrheit und Frieden zu werden, auch wenn dies bedeuten würde, mit
angeklagten Kriegsverbrechern zusammenzusitzen und mit ihnen zu sprechen. Es
führt kein Weg zu Wahrheit und Frieden als der der leidenschaftlichen
Hingabe, die “alles erträgt, alles glaubt, alles hofft, alles
duldet” (1. Korinther 13,7) und zum Kreuz führt.
Im Sommer 1999 befinden wir uns in
Europa in einer Situation des Scheiterns. Die hoffnungslosen
Flüchtlingslager in Albanien und Mazedonien, die Zerstörung in Serbien
sind Zeugnisse für dieses Scheitern. Die Bemühungen, den Willen mit
Macht und Herrschaft durch-zusetzen - ob von Seiten des Milosevic-Regimes oder
seitens der NATO - endeten in Tod und Anarchie. Die Wunden reichen sehr tief und
werden viele Jahre brauchen, um zu heilen. Doch für uns als Christen und
Friedensaktivisten ist es nicht genug, der Welt gegenüber den Zeigefinger
zu erheben und zu sagen: “Wir haben es euch ja gleich gesagt. Ihr
hättet auf uns hören sollen. Ihr hättet unserem Weg folgen
sollen.” Was ist denn unser Weg gewesen? Was haben wir denn von der Welt
erwartet, als wir mit Kirchen konfrontiert wurden, die in Ost und West allzuoft
als nationale Entitäten bestehen und in der Tat häufig
na-tionalistisch eingestellt sind? Und ist es nicht ein bißchen
merkwürdig, wenn ich das so sagen darf, daß es - wenn wir wirklich
Liebhaber des Friedens sind - so viele verschiedene, christliche oder
anderweitige Friedensgruppen in Europa gibt? Sollte es nicht Frieden zwischen
den Friedensbewegungen Europas geben?
“Liebet Wahrheit und
Frieden.” Diese prophetischen Worte wurden zu einem Volk gesprochen, das
noch mit seinem Fehlverhalten lebte. Es war ungefähr die Zeit vor mehr als
fünfhundert Jahren vor Christus, als die Verbannten aus ihrem
70jährigen Exil in Babylon nach Jerusalem zurück-kehrten. Sie kehrten
zurück in die geliebte Stadt ihrer Eltern und Großeltern. Noch lag
sie in Ruinen, ein trostloses Zeugnis der Zerstörungsorgie, die von
Babylon her über sie hinweggefegt war. Ein kleiner Anfang war gemacht
worden, die Mauern wieder aufzubauen und ein Fundament dort zu legen, wo einst
der prächtige Tempel Salomons gestanden hatte. Aber während sie
physisch wieder zurück in Jerusalem waren, befanden sich viele von ihnen
mental und emotional noch immer im Exil und betrachteten sich als das besiegte
und darüber-hinaus schuldige Volk. Dies ist der Schauplatz, auf dessen
Hintergrund Sacharja seine Prophetie spricht.
Die aus dem Exil Zurückgekehrten
sind ein Volk, das allzu gut um den Kontrast zwischen großen Visionen und
Idealen auf der einen Seite und grausamen Realtitäten auf der anderen Seite
weiß. Sie haben die Schriften der großen Propheten, die vor und
während des Exils gepredigt hatten, mit zurückgebracht. Dazu
gehört die große Vision des Jesaja: “Kommt, laßt uns auf
den Berg des Herrn gehen, zum Hause Gottes [...] Und er wird richten unter den
Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwer-ter zu
Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk
wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen,
Krieg zu führen” (Jesaja 2,3.4). Und die Leute rollen die
Schriftrolle wieder auf und schauen hinüber zum Berg Zion, der nach wie vor
wie ein recht bescheidener Hügel an-mutet und noch von Un-kraut und Nesseln
überwuchert ist.
Oder es gibt da die ein-drucksvolle
Predigt des Propheten, den wir den Zweiten Jesaja (Deutero-jesaja) nennen, der
während des Exils einen neuen Exodus verkündigte, die Rückkehr
durch eine auf wunderbare Weise verwan-delte Wüste, in der “alle
Täler erhöht und alle Berge und Hügel erniedrigt werden”
und “die Herrlichkeit des Herrn allem Fleisch offenbart wird”
(Jesaja 40,4.5). Und die Leute hören das und sehen gleichzeitig, wie die
letzten Heimkehrer erschöpft und desillusioniert zwischen den Ruinen
zusammenbrechen. Oder dann gibt es das von Hesekiel großartig gemalte Bild
von den leben-spendenden Wassern, die aus dem neuen Tempel hervorquellen, nach
Westen fließen und alle Kreatur - sogar das Tote Meer und die Wüste -
zu neuem Leben erwecken (Hesekiel 47,1-12). Und alles, was bisher davon zu sehen
ist, ist der schlammige Graben, den die Arbeiter hinterlassen haben, die nach
Hause gegangen sind, weil ihnen kein Lohn mehr ausgezahlt wurde. Und ringsumher
- weit davon entfernt, daß schon Frieden herrscht - sind die feindlichen
Nachbarn, die nicht wollen, daß auch nur ein einziger Stein der
Stadtmauern wieder aufgebaut wird. Es ist noch die Zeit für die Schwerter,
aber genauso für die Pflugscharen.
Die Wahrheit scheint wenig liebenswert,
der Frieden unerreichbar. Sacharjas Bedeutung liegt in der Art und Weise, wie er
dieser Situation gegenüber steht. Er glaubt an das, was die letzten
Propheten über ein neues Zeitalter des Friedens und der Herrlichkeit
für Jerusalem und die Welt verkündet haben. Doch er kannte zugleich
die harten Realitäten, mit denen sein Volk konfrontiert war. Und die
Vision, die ihm gegeben wird, enthält ein Projekt, das dieser Hoffnung
sowohl treu ist als auch hier und jetzt von dem Volk verwirklicht werden kann.
Deshalb ist auch der Satz “Liebet Wahrheit und Frieden” für
unsere Situation relevant.
Hinter Sacharjas Worten und dem langen
Dis-kurs, den sie zu-sammen-fassen, stehen zwei Einsichten, die wir uns
heutzutage zu Herzen nehmen können. Ich will sie “Li-turgie”
und “Lokalität” nennen.
Liturgie: Dies ist gewiß ein recht
unübliches Thema für Friedens-aktivisten! Und das Studium von
Liturgie noch viel mehr. Ein römisch-katholischer Bischof erzählte mir
dazu folgenden Witz: “Was ist der Unterschied zwischen einem
‘Liturgiker’ und einem Terroristen? Antwort: Mit einem Terroristen
kann man diskutieren.” Wir sollten dennoch nicht überrascht sein,
daß Sacharja ein liturgisches Interesse besaß. Selbst wenn er auch
kein Priester war, so kam er doch aus priester-lichen Kreisen und war sehr um
den Wiederaufbau des Tempels besorgt. Und eine Sache, die wir im modernen Westen
immer Gefahr laufen zu vergessen, ist die Tatsache, wie wichtig Ritual und
Liturgie sind. Es sind die symbolischen Mittel, durch die wir ausdrücken
und betonen, was wir im Leben für wirklich wichtig halten.
Es scheint, daß eine Gruppe von
Personen an Sacharja herangetreten ist, die wissen wollten, ob sie das Fasten im
fünften Monat jeden Jahres - einer Zeit des Trauerns und der Enthaltsamkeit
- weiterhin halten sollten. Nun war dies eine sehr bedeutungsvolle Frage, da das
Fasten im fünften Monat zum Gedenken an die Zerstörung des Tempels und
Jerusalems geschah und von den frommen Juden während des ganzen Exils
eingehalten worden war. Nach ihrer Rückkehr wurde es von einigen
offen-sichtlich beibehalten. Sacharjas Antwort besteht zunächst einmal
darin, daß er eine Gegenfrage stellt: Um wessentwillen habt ihr dieses
Fasten wirklich all die Jahre hindurch gehalten? Um Gottes oder um eurer selbst
willen, so wie ihr auch um eurer selbst willen gegessen und getrunken habt? Und
er erinnert sie daran, was die früheren Propheten als wahren Gehorsam Gott
gegenüber bezeichnet hatten: “Fällt gerechte Urteile, zeigt
einander Freundlichkeit und Güte, unterdrückt nicht die Witwen, die
Waisen, die Fremdlinge und die Armen und ersinnt nichts Übles in euren
Herzen gegeneinander.” (vgl. z.B. Jeremia 21,12; 22,3; Sacharja 8,16-17)
Die Tatsache, daß sie sich nicht an diese Prinzipien gehalten haben, war
der Grund dafür, daß die vorigen Generationen von der Katastrophe
(des Exils) heimgesucht worden waren. Von daher mußte dieses Handeln jetzt
wieder zur Priorität werden.
Sacharja sagt, daß das Fasten des
fünften Monats weiterhin eingehalten werden soll, allerdings unter einem
veränderten Vorzeichen. Es sollte nicht länger die Erinnerung an
Zerstörung sein, sondern die Feier des Neubeginns, den Gott mit seinem Volk
macht. In gleicher Weise soll das Fasten des vierten, des siebten und des
zehnten Monats ebenfalls “dem Hause Juda zur Freude und Wonne und zu
fröhlichen Festzeiten werden. Deshalb ”liebet Wahrheit und
Frieden” (Sacharja 8,19). Gott schafft etwas Neues, indem er
großzügig in seiner Fürsorge ist: Er sät Frieden. Der Regen
wird fallen. Der Wein wird erblühen. Die Erde wird eine reiche Ernte
hervorbringen (Sacharja 8,12). Der Anteil des Volkes wird dabei darin bestehen,
in ihrem Umgang miteinander Wahrheit und Frieden zu lieben.
Bei der Liturgie geht es darum, wie wir
durch die Form des Dramas und der Symbolik unserer Veränderung durch die
Gnade (Gottes) konkrete Gestalt verleihen können. Der Veränderung von
der Niederlage zum Sieg, von der Knechtschaft zur Freiheit, von der Schuld zur
Vergebung, von einem Konflikt zur Versöhnung und vom Tod zum Leben.
Liturgie sollte uns eine Vorfreude auf das Ende vermitteln. Das Abendmahl, die
Eucharistie, sind ein Vorgeschmack auf das große verheißene
Festmahl, wenn Menschen aus Ost und West, Nord und Süd herbeikommen und im
Reich Gottes beisammen sitzen werden (vgl. z.B. Matthäus 8,11). Eine
Liturgie, die uns jedoch nur eine Vorausschau auf das Ende gibt, ohne uns
zugleich zu helfen, mit unseren gegenwärtigen Schwierigkeiten und Leiden
fertig zu werden, betreibt ein falsches Spiel sowohl im Blick auf unsere reale
Situation als auch im Blick darauf, wie Gnade wirkt. Eine wahre
Friedens-Liturgie muß uns dazu befä-higen, die Wahrheit über
unsere gegen-wärtigen Konflikte auszusprechen: die Verletzung, die Wut und
den bitteren Wunsch nach Vergeltung, wie es in den Psalmen geschieht; diese
Wahrheiten müssen an die Öffentlich-keit gebracht und Gott dargeboten
werden - der weiß, wie mit ihnen umzugehen ist. Sacharja setzt nicht das
Fasten als solches herab. Es war gut und heilsam, daß die Trauer um den
zerstörten Tempel und die zer-störte Stadt während der ganzen
Jahre des Exils durchgehalten wurde. Klagen und Trauern hat seine Zeit
(Prediger 3,4). Gerade weil das Volk diese Trauer durchlebt hat, ist nun die
Zeit zu feiern: Deshalb liebt Wahrheit und Frieden.
Solche Liturgien für die Suche nach
Wahrheit und Frieden zu erarbeiten, ist eine Aufgabe für die heutigen
Kirchen.
Doch nun zur Lokalität
:
Es ist ein schönes und sehr
menschliches Bild, das Sacharja von dem neuen Jerusalem zeichnet: eine Stadt,
deren Straßen voll von spielenden Kindern und alten Menschen sind, die
dort mit ihren Gehstöcken sitzen (Sacharja 8,4). Eine Gemeinschaft, die
Überfluß und Sicherheit untereinander teilt, in der Menschen bei
ihren Rechtsangelegenheiten am Stadttor einander die Wahrheit sagen und zu
Urteilen gelangen, die dem Frieden dienen (Sacharja 8,16-17). Es ist ein sehr
praktisches und lebensnahes Bild. Aber halten wir es vielleicht eher für zu
eng und zu beschränkt? Was ist geschehen mit der großen prophetischen
und universalen Friedensvision für unsere Erde: In der Wolf und Lamm
beieinander liegen, eine Erde, die mit der Erkenntnis des Herrn gefüllt ist
wie das Meer, das mit Wasser bedeckt ist (Jesaja 11,6.9)? In der Tat hat
Sacharja diese Vision beibehalten. Alles, was er getan hat, zielt darauf, eine
Ahnung davon zu vermitteln, wie diese Vision verwirklicht werden kann. Er sagt,
daß Jerusalem, obwohl es nur irgendein Ort auf dieser Welt ist, zu solch
einem Wunder werden kann, daß Menschen aus allen Nationen kommen wollen,
um diese Stadt mit eigenen Augen zu sehen und Gott dort anzubeten. Jerusalem
wird so zu einem besonderen Ort mit einer universalen Bedeutung. Auf diese Weise
bringt Sacharja die große Vision und die Realität dieser Welt
zusammen. Er besitzt keine augeklügelte Strategie, um seine Vision der
ganzen Welt aufzuzwingen. Er hat vielmehr ein Bild von seiner eigenen
Gemeinschaft, die dann den Rest der Welt anziehen kann: Ein Licht, um die Heiden
zu erleuchten.
Einer der inspirierendsten Orte, die ich
jemals besucht habe, war die Gemeinschaft von Chouifat in Beirut gegen Ende des
tragischen Bürgerkrieges im Libanon: Ein riesiger Wohnblock, direkt auf
der sogenannten grünen Linie zwischen den Ost- und Westsektoren dieser so
erbittert entzweiten Stadt. Die Bewohner weigerten sich, sowohl vor dem
Granatfeuer und den Raketen zu fliehen als auch zuzulassen, daß ihr
Gebäude von einer der beiden Seiten als Verteidigungsanlage beschlag-nahmt
würde. Sie sagten: “Ihr werdet uns nicht vertreiben. Ihr werdet uns
nicht trennen. Wir bleiben zusammen.” Und sie blieben. Mit Hilfe des Rates
der Kirchen im Nahen Osten (Middle East Council of Churches) bekamen sie eine
neue Wasserversorgung, konnten eine Klinik aufrechterhalten, entwickelten ihre
eigenen Einkommen-erzeugenden Industrien und stellten sicher, daß
genügend Raum für einen Kinderspielplatz zur Verfügung stand, der
frei von Abfall und Landminen war. Dies ist für mich ein Gleichnis für
unsere Zeit.
“Liebet Wahrheit und
Frieden”: Heutzutage haben wir das starke Bedürfnis, diese Worte auf
globaler Ebene anzuwenden. Und es gibt in der Tat viele Aufgaben auf globaler
und internationaler Ebene für uns zu tun und viele Fragen im Blick auf die
Kosovo-Krise zu stellen: zur Rolle der Vereinten Nationen, zu den wahren
Absichten der NATO, zur Rolle der Rüstungs-Industrie und zur gesamten
Weltwirtschaftsordnung. Aber kann es nicht auch sein, daß es jetzt an der
Zeit ist, daß wir uns sehr viel intensiver, als wir es je zuvor getan
haben, um die Praxis von Wahrheit und Frieden auf lokaler Ebene kümmern? Es
ist eine Sache zu sagen, daß ethnische Differenzen von skrupellosen
Politikern ausgenutzt worden sind. Aber warum waren lokale Gemeinschaften so
empfänglich für eine solche Ausnutzung? Bestehen die entscheidenden
Fragen im Blick auf den künftigen Frieden nicht darin, danach zu fragen,
wie lokale Gemeinschaften so bestärkt und in die Lage versetzt werden
können, daß sie aufstehen und denen entgegentreten, die sie entzweien
und durch ihren Machtmißbrauch ausbeuten wollen? Wie können wir
lokale Gemeinschaften dazu befähigen und sie darin bestärken,
daß sie zu-sammenstehen und wirtschaftlich und kulturell
widerstandsfähig werden gegen die Manipulation und Ausbeutung von
außen? Vom Kosovo bis Nordirland? Von Ruanda bis Sri Lanka? Durch die
Liebe von Wahrheit und Frieden innerhalb der lokalen Gemeinschaft verbindet
sich die universale Vision mit unserer heutigen Realität.
Wahrheit und Frieden gehören
zusammen, wenn sie wirklich geliebt werden, geliebt mit der Leidenschaft des
Geistes, mit Gottes eigener Liebe. Wenn es T. S. Eliot war, der sagte, daß
die Menschheit nicht sehr viel Realtät ertragen kann, war es wiederum T.S.
Eliot, der uns in dem-selben Gedichtzyklus4 das Bild von der verwandelnden Liebe
des Pfingstereignisses gibt:
Die herabsteigende Taube durchbricht die
Luft
mit einer Flamme glühenden
Schreckens,
von der die Zungen verkünden
den einzigen Freispruch von Sünde
und Irrtum.
Die einzige Hoffnung oder andernfalls
Verzweiflung
liegt in der Wahl zwischen
Scheiterhaufen oder Scheiterhaufen -
um erlöst zu werden vom Feuer durch
Feuer.5
Deshalb also, liebet Wahrheit und
Frieden.
Übersetzung: Birgit
Dobrinski-Schmitz
Dr. Keith Clements ist
Generalsekretär der Konferenz Europäischer Kirchen.
Anmerkungen
1. “human kind / Cannot bear very
much reality”, in: T. S. Eliot. Four Quartets, Burnt Norton, Anm. d.
Übers.
2. Alexander Belopopsky vom
Ökumenischen Rat der Kirchen, Olli-Pekka Lassila vom Lutherischen Weltbund
und Keith Clements von der Konferenz Europäischer Kirchen, Anm. d.
Übers.
3. in: D. Bonhoeffer. Nachfolge, S.
13-20, Anm. d. Übers.
4. in: T.S. Eliot. Four Quartets, Little
Gidding, Anm. d. Übers.
5. The dove descending breaks the air /
With flame of incandescent terror / Of which the tongues declare / The one
discharge from sin and error. / The only hope, or else despair / Lies in the
choice of pyre or pyre - / To be redeemed from fire by fire.
Church & Peace ist ein
ökumenischer Zusammenschluß von christlichen Kommunitäten,
Lebensgemeinschaften, Kirchengemeinden, Friedensdiensten und -gruppen in Europa.
Ziel ist die gegenseitige Unterstützung im gemeinsamen Engagement für
Frieden, gewalt-freie Konfliktvermittlung und Versöhnung. Gemeinsame
Überzeugung ist daher, daß die im Evangelium bezeugte Gewaltfreiheit
zu den Wesensmerkmalen von Kirche und Gemeinde gehört.
Die Publikations-Reihe “Theologie
und Frieden” hat das Ziel, Texte zu veröffentlichen, die für die
theologische Basis aktiver Friedensarbeit von Bedeutung sind. Sie geht
zurück auf eine Initative von Church & Peace in Großbritannien
und Irland.