BILDERSUCHT AUF DER BÜHNE
In Sibiu in Siebenbürgen
fand kürzlich ein internationales Theaterfestival statt, an
dem sich bestätigte, was der Romancier Theodor Fontane vor
mehr als hundert Jahren beobachtete. Er schrieb nicht nur
anrührende von tiefer Menschenkenntnis zeugende Romane,
sondern war auch während langer Jahre als Theaterkritiker in
Berlin tätig. 1883 fasste er seine Beobachtung in die
Worte : « Das Stück beherrscht nicht mehr die Szene,
sondern die Szene beherrscht das Stück. »
. Diese Worte zielen mitten ins Herz des heutigen
Bildertheaters, das einen in Sibiu geradezu verfolgte. In
Rumänien wirkt seit über einem Jahrzehnt ein Regisseur, den
man einen wahren Bildermagier nennen kann : Silvio
Purcarete. Theater faßt er als eine große Verblüffungsanstalt
auf. Das gilt vorzugsweise für die Stücke, die er für seine
Truppe selber schreibt. Ein Beispiel dafür war seine
Gargantuabearbeitung, in der er zu einer wilden Abfolge von
Bilderzusammenstellungen ausholte Arrangements ohne
Zahl und vor allem ohne tiefere Bedeutung jagen einander.
Prinzip ist das kaleidoskopartige Zusammenschießen einzelner
Bildteile Das Theater verwandelt er in einen Ort der
Beliebigkeit um, auf dem ein surreales Geschehen stattfindet,
das seine Rechtfertigung einzig aus seiner Willkür zieht.
Diese sich überstürzenden Bilder arten handkehrum in Unfug
aus. Es versteht sich von selbst, daß bei der Auswahl der
Bildelemente die Mode das Szepter führt.. Was gerade der
letzte Pfiff auf dem Boulevard ist, das kommt auf dieser Bühne
als Echo zu uns. Anders sieht es immerhin aus, wenn er
sich einer strikten Textvorlage unterwirft, mit der er nicht
nach Belieben umspringen kann. « Was ihr wollt » ist
von allen Shakespearestücken das biegsamste, was die
Rollenverwandlung betrifft. Der Wucherung auf sich selbst
bezogener szenischer Einfälle, der er sonst mit Begeisterung
erliegt, kann er hier nicht so leicht nachgeben. Damit bleibt
auch die Lesbarkeit des Bühnengeschehens besser bewahrt.
Wie soll sich das Publikum auf dieses pausenlose
Kapriolenspiel einen Vers machen, werden doch die
Sinngehalte dabei an den Rand gedrängt ? Komödien
widerstehen der permanenten Bilderanhäufung besser. Aber
eindeutig bringt das vom Text unbeglaubigte Jonglieren der
Bilder eine Verwirrung des aufnehmenden Geistes samt
entsprechender Verarmung mit sich. Die Malvoglio-Episode
z.B. reizt zweifelsohne zum Lachen, daß aber auch einer
solchen Spottgeburt der dichterische Blick Duldsamkeit und
Verständnis entgegenbringt und ihr damit Tiefe verleiht, das
läßt sich auf diese Weise sicher nicht
vermitteln. Ein anderer Regisseur von ähnlicher Geistesart
tritt neuerdings aus dem südöstlichen Europa ins Licht. Den
ukrainischen Theatermann Andrij Scholdak hat vor kurzem Luc
Bondy an die Wiener Festwochen geholT und mit diesem Gastspiel
künstlerisch nobilitiert. Er wird, um das vorherzusagen,
braucht man kein Prophet zu sein, in kürzester Zeit großen
Beifall finden. Auch er ist ein Bildzauberer, genauer :
er verwandelt die Bühne in ein Spannungsfeld der
Halluzinationen, denen man sich schwerlich entziehen
kann. »Venedig – Goldoni » betitelte er den
selbst ausgedachten Extrakt aus Goldonis
Lebensgeschichte, Wie unter Hochspannung, die Blitze
versendet, agieren auf der Bühne die Figuren. Das Arrangement,
dem sie unterliegen, ist unbezweifelbar ihre « raison
d’etre « :in einem Kaleikdoskop schießen die
einzelnen Glasstückchen ja auch immer zu neuen Konfigurationen
zusammen. Hier nun löst das Raumkaleidoskop durch die
Beziehungslosigkeit seiner Bilderkonstruktionen einen
Schwindel aus, der wohllüstig erlebt wird. Vorgänger dieser
effekthascherischen Theaterkunst ist ganz gewiß die
surrealistische Malerei. Dali hat diese gegen die Vernunft
gerichtete Bildsüchtigkeit künstlerisch vorgelebt. Aber wir
müssen in unser Urteil auch die Zeit des langen Darbens der
Kunstproduktion in der Epoche des Sozrealismus einbeziehen.
Nicht nur die Einspurigkeit der Kunstaussage hatte
Kunsterstarrung zur Folge, in der die Wünsche eines freien
Geistesspiels zu Grabe getragen wurden, die ersehnte
Freiheit wurde vielmehr dadurch zum Synonym für impulsives
Spiel der Phantasie. Die Aushöhlung des kritischen Sinns,
die diese Perversion mit sich bringt, hat freilich auch
Wurzeln in der rumänischen Theaterkunst. Die
Verführungsbereitschaft des Geistes durch Glanz und
schmeichlerisches Gaukelspiel geht in diesem Land auf eine
lange Vorliebe zurück, die heute noch nicht verblaßte. So läßt
beispielsweise Anca Bradu Tschechows « Drei
Schwestern » auf einer total verspiegelten Bühne
spielen, damit alle Gestalten sich vervielfachen und ihrer
Realität verlustig gehen. Was ein (zweifelhafter) Effekt im
Moment ist, wird damit zum Dauerzustand, der den kritischen
Sinn einlullt.. Die « Perser » des Aeschylus
sind ein einziger aufwühlender Klagegesang des bei Salamis
geschlagenen Heeres. Zu unserem Erstaunen steckt der Regisseur
Mihai Maniutiu die erschütterten Klageführer in Einreiher von
heute, die aus Goldstoff geschnitten sind. Goldgefärbte
Strohhüte gehören mit zu ihr Ausstaffierung, mit denen sie wie
in einer Revue von Maurice Chevalier Ende der Zwanzigerjahre
dem Publikum zuwedeln. Daß hier Bühneneffekte schonungslos
sich über das Stück hinwegsetzen, wie Fontane es
vorausgesehen, das läßt sich nun wirklich nicht leugnen.
Der gleiche Regisseur, auf dessen Konto diese
Geschmacksverirrung geht, zeichnet auch für die Aufführung der « Elektra » verantwortlich.
Und da schien er ein völlig anderer. Allen billigen Glitzer verbannte
er daraus. Im Gegenteil Elektra und Orest erscheinen im Halbdunkel, Das ganze
Ambiente gibt Bedrückung und Ausweglosigkeit zu verstehen. Das Theater steigt in
jenes uranfängliche Chaos hinab, wo es seiner tiefsten Daseinsberechtigung begegnet.
Bohrende Volksweisen aus der rumänischen Provinz Maramuresch umtönen die Schreckenshandlung. Ja da griff die Bühne
auf jene Wirklichkeit zurück, in der Kinkerlitzchen sich von selbst zerstören
und Heuchelei tödlich ist.
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