VISSZA A LISTÁHOZ
 

Magdalena Marsovszky:
Premier Orbán bei den Rechtsradikalen zu Gast.
Ungarns öffentlich-rechtliche Medien – ein PR-Instrument der Regierung
(erschienen in: Menschen Machen Medien. Medienpolitische ver.di-Zeitschrift, Nr.3, März 2002)

Regelmäßig besucht der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán die Redaktion der rechtsradikalen Hetzsendung ‚Vasárnapi Újság’ (dt. Sonntagsmagazin) des öffentlich-rechtlichen ‚Kossuth Rádió Budapest’.

Woche für Woche wird hier rechtsradikalen Ansichten breiter Raum gewährt, trotzdem gilt sie in Ungarn allgemein als seriös und zitierfähig, so dass die dort gesendeten Interviews und Kommentierungen in den Folgenachrichten stündlich zitiert werden. Viktor Orbán stellt sich jedes Mal bereitwillig für ein einstündiges Gespräch zur Verfügung, schließlich gehört es ja zu seinen Lieblingsprogrammen. „Auch Radiosendungen höre ich selten, /.../ das ‘Sonntagsmagazin’ ist die einzig erfrischende Ausnahme.“ - sagte er in einem Interview.

Zu den Favoriten des ungarischen Premiers gehört weiterhin nach eigener Aussage die Wochenzeitschrift ‚Magyar Demokrata’ (dt. Ungarischer Demokrat), ein rechtsradikales Blatt, das die großzügige finanzielle Unterstützung der Regierung genießt und seine parteipolitische Sympathie nach dem Wahlsieg der Konservativen in Österreich mit dem großformatigen deutschen Titel „Grüß Gott, Haider“ bekundete. Dass es regelmäßig mit Fotos von Regierungsmitgliedern betitelt ist, mit denen im Heft Interviews geführt werden, gilt bei den ungarischen Konservativen als nicht im geringsten anstößig. Eine weitere Tageszeitung, die „Magyar Nemzet“ (dt.: Ungarische Nation), in dem rechtsradikale Publizistik ebenfalls an der Tagesordnung steht, wird zwar von Orbán nirgends ausdrücklich gewürdigt, doch sie gilt als Regierungsorgan und wurde neulich in einem unabhängigen Blatt nach dem Muster des ehemaligen deutschen „Völkischen Beobachters“ treffend „Ungarischer Beobachter“ bezeichnet.

Rassistisches Gedankengut

Rassistischem und antisemitischem Gedankengut eröffneten sich in Ungarn in den letzten Jahren die wichtigsten Kanäle und machten diese nach und nach gesellschaftsfähig. Die rechtsradikale Partei für Ungarische Gerechtigkeit und Leben, MIÉP, seit 1998 als die Oppositionspartei rechts außen im Parlament vertreten, hat sogar Frequenzen für einen eigenen, kommerziellen Radiosender, das ‚Pannon Rádió’ erhalten, wo sie sich unverschlüsselt auslassen kann. Dies alles ist möglich, weil die MIÉP als "Opposition der Opposition" bei Abstimmungen sozusagen ein „natürlicher Verbündeter“ der rechtskonservativen Regierungskoalition ist. Diese sichert ihr dafür die Möglichkeit, sich Geltung zu verschaffen, so z.B. mit der Berufung eines Redakteurs von ‚Sonntagsmagazin’ zum Leiter der Abteilung Innenpolitik von Kossuth Rádió, der wiederum seinerseits den ehemals berühmten Literaten und heutigen Chef von MIÉP, István Csurka, den Zuhörern durchwegs als glaubwürdigen Politiker präsentiert. Proteste dagegen werden im Keim erstickt, Kritiker bis zur Selbstkündigung gemobbt wie der Rundfunkredakteur György Bolgár oder durch ‚Schwarze Listen’ eingeschüchtert, die dann durch Orbán im Parlament verlesen oder in ‚Magyar Nemzet’ veröffentlicht werden.

Antisemitische Äußerungen fallen selbst in der Regierungskoalition. Bekannt sind die Ausfälle des Vizevorsitzenden der stärksten Koalitionspartei der Jungdemokraten FIDESZ, László Kövér, der die sozialistische und liberale Opposition als „geistig vaterlandslose“ denunzierte, und die eines Vorstandsmitgliedes von FIDESZ, Zsolt Bayer, der zugleich stellvertretender Direktor für Kultur im öffentlich-rechtlichen Duna TV, kultureller Berater des Ungarischen Fernsehens und Publizist des erwähnten ‚Magyar Nemzet’ ist. Bayer währte sich unlängst in einer Fernsehsendung gegen den Vorwurf des Antisemitismus wie folgt: „Diese ganze Judenfrage, diese ganze militante, ekelhafte Hysterie /.../, was diese Niemands immer wieder beschreiben und dadurch wach halten /.../ diese hysterischen Verbrecher schreiben über nichts anderes.“ „Wir haben etwa 500 jüdische Zeitgenossen, die davon leben möchten, dass sie Juden sind“. Dennoch kann die Partei nicht als durchwegs antisemitisch bezeichnet werden, sondern eher als rechtskonservativ-populistisch und nationalistisch. Sie bereitet aber mit ihrer Kommunikationsstrategie den Boden für eine neue völkische Front.

Ungarn wird dabei wie ein gigantisches Werbeunternehmen geführt. Als wichtigstes PR-Instrument in der 1998 neu aufgestellten konservativen Werteskala scheint die Regierung gerade die öffentlich-rechtlichen Medien zu betrachten. Da die Sozialisten als „Wendemanager“ bereits 1989, noch vor den ersten demokratischen Wahlen, Teile der Medien in die Hand westlicher – vor allem deutscher – Großkonzerne überspielt hätten, so der Vorwurf der Konservativen, sei „die ganze ungarische Öffentlichkeit /.../ den internationalen Kapitalgesellschaften ausgeliefert“, weshalb “jeder Buchstabe, jeder Ton” “fremden Interessen” diene, lüge und “irreführend” sei. Zudem hätten vierzig Jahre Realsozialismus den Sozialisten einen derart großen Vorsprung gesichert, dass sie die Medien weiterhin dominierten, weil sie zusammen mit den liberal gesinnten Journalisten eindeutig in der Überzahl seien. Nach seinem Machtantritt nahm sich daher Viktor Orbán vor, konservativ gesinnten Journalisten und Presseorganen durch eine "positive Diskriminierung" unter die Arme zu greifen.

Tatsächlich sind heute die gewinnträchtigsten Medien in westeuropäischer – so bei Bertelsmann, Springer und der WAZ-Gruppe - bzw. amerikanischer Hand. Die rein ungarischen kämpfen dagegen entweder um das Überleben oder sie sind von Förderungen wie z.B. durch die Soros-Foundation abhängig oder werden – wie beschrieben - von der Regierung unterstützt. Das heißt, dass zwar das staatliche Nachrichtenmonopol des Realsozialismus‘ endgültig abgeschafft wurde, jedoch die Medien nicht – wie erhofft – demokratisiert worden, sondern vielmehr dem Diktat des Marktes ausgeliefert sind.

Orbáns Maßnahmen zur Einflussnahme auf die Medien sind also bereits eine Reaktion auf den Druck des Marktes, den er mit einem von Staats wegen angeordneten Wertkonservatismus abschwächen will. Dieser Konservatismus ist jedoch in den letzten Jahren zum Völkischen verkommen. Da sich das Volk durch den infolge ständiger Fremdherrschaft über die Ungarn andauernden Weltschmerz allgemein eher zu den Opfern als zu den Tätern zählt, werden vor allem die heroischen Taten des Volkes, die nationale Homogenität und ein organischer, dem Ungartum immanenter spezifischer Charakter in den Vordergrund gestellt.

Ein europäisches Problem

Trotzdem: Zu glauben, dass es ein rein ungarisches Problem sei, wäre Selbsttäuschung. Selbst im Bewusstsein der kritischen deutschen Öffentlichkeit scheinen Kenntnisse über die Entwicklung der politischen Kultur in Ungarn und über die Zusammenhänge dieser Entwicklung mit der aus dem Westen ‚exportierten‘ Marktwirtschaft weit gehend zu fehlen. Neueste Forschungen beweisen, dass westliche Medienunternehmen durch ihr Auftreten in Ungarn wesentlich zur Boulevardisierung der Medien, zur Dominanz von wirtschaftlichen Interessen und somit zur Verhinderung der demokratischen Entwicklung der Medien beitrugen. Dennoch scheinen sie ohne den begleitenden Druck einer kritischen demokratischen Öffentlichkeit ihre im Westen etwa noch vorhandenen Firmenphilosophien in Ungarn abzulegen und dort nur noch am Gewinn interessiert zu sein. Wie in allen anderen, so wurde auch im Medienbereich der bisherige Prozess der EU-Integration beinahe gänzlich dem Markt überlassen, während politische Investitionen zur Stärkung des Demokratisierungsprozesses weit gehend außer acht gelassen wurden.

Zunächst müsste es einen kritischen internationalen Medienaustausch geben. Dieser ist jedoch kaum förderlich, wenn Initiativen dazu mit der Begründung abgelehnt werden, es sei „nicht unsere Aufgabe, uns um Rassismus und Pressefreiheit in Ungarn zu kümmern“, wie jüngst die Münchner Kulturreferentin Lydia Hartl meinte. Wenig ermunternd erlebt man in Ungarn auch den jährlichen Länderbericht der EU-Kommission. Dort wird die Meinung suggeriert, die Schuld daran, dass in den Medienkuratorien nur Delegierte der Regierungskoalition sitzen, liege bei der Opposition. Sie hätte sich ja auf keine gemeinsamen Kandidaten einigen können, behauptet die Regierung, nun auch moralisch gestärkt. Dabei wird geflissentlich außer acht gelassen, dass die linke Opposition dazu mit der ebenfalls „oppositionellen“ rechtsradikalen Partei MIÉP verhandeln müsste, was sie jedoch strikt ablehnt. Wenn dann noch der ungarische Ministerpräsident Orbán den Franz-Josef-Strauß-Preis der CSU nahen Hanns-Seidel-Stiftung bekommt und dabei als „überzeugter Europäer“ gewürdigt wird, der mit seiner Politik „entscheidende Impulse“ für das Zusammenwachsen in Europa gesetzt habe, dann fragen sich viele in Ungarn: „quo vadis Europa?“.