V. Szabó László: Der unheimlichste aller Gäste und seine Erscheinungsformen

Ideen zur Geschichte des Nihilismus

Der Nihilismus steht vor der Tür, dieser unheimlichste aller Gäste.

(Friedrich Nietzsche)

Die Problematik des Nihilismus ist zumindest zwei hundert Jahre alt1 und hat ihre Aktualität auch heute nicht verloren. Unsere postmoderne Zeit als nihilistisch zu bezeichnen wäre allerdings nicht ungewöhnlich, denn seit Rudolf Pannwitz (bereits 1917!) gilt das Attribut "nihilistisch" für den postmodernen Menschen als plausibel wenn nicht evident:

Der sportlich gestählte, nationalistisch bewusste, militärisch erzogene, religiös erregte postmoderne Mensch ist ein überkrustetes Weichtier, ein juste-millieu von décadent und barbar, davon geschwommen aus dem gebärischen Strudel der großen Décadence, derkf radikalen Revolution des europäischen Nihilismus.2

Die Berechtigung der Frage nach dem europäischen Nihilismus ergibt sich heute daraus, dass sie trotz zahlreicher diverser Versuche bis dato nicht gelöst wurde. Die Wellen der "großen Décadence" sind noch nicht ausgeloschen, man leidet noch an ihnen, wenn man nicht resignieren oder darüber zynisch hinwegsehen will. Aber eben ein Zyniker wie auch Friedrich Nietzsche war es, der von der welterschütternden Frage "Wozu?" am stärksten betroffen wurde: Aus ihm, diesem größten Wirbel der europäischen Geistesgeschichte sind die ungeheuersten geistigen Wellen ausgegangen, verstärkt durch Leiden und Leidenschaft, die durch Epochen und Generationen, durch Rudolf Pannwitz oder Hermann Hesse, durch Stefan George oder Gottfried Benn bis zu uns reichen, "denn wir leiden am Menschen, es ist kein Zweifel."3 Haben wir aber genug gelitten? Nietzsche, der "Antichrist" war, wie er selbst betont, derjenige, der am Menschen am meisten gelitten hat. Wie der symbolische Nietzsche-Held, Zarathustra aufruft: "Ihr leidet mir noch nicht genug! Denn ihr leidet an euch, ihr littet noch nicht am Menschen. Ihr würdet lügen, wenn ihr's anders sagtet! Ihr leidet alle nicht, woran ich litt."1 Die Diagnose des Nihilismus wurde damit von Nietzsche aufgestellt, der den Zusammenbruch eines ganzen Wert- und Sinnhorizontes europäischer Kultur konstatieren musste um seinen Blick nach neuen Horizonten menschlicher Existenz zu richten.

Wenn etwa Hans Küng das Nietzsche-Kapitel seines im Geiste des Zweiten Vatikaner Konzils geschriebenen Buches »Die Heraufkunft des Nihilismus: Friedrich Nietzsche« betitelt hat,1 so heißt das nicht wortwörtlich, dass der Nihilismus erst mit Nietzsche heraufgekommen oder eben verschwunden sei. Der Ausdruck stammt nämlich aus einer Prophezeiung Nietzsches für das 20. und 21. Jahrhundert, die zunächst in seiner, von der Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche willkürlich Der Wille zur Macht genannten Nachlassschrift 1901 erschien:

Was ich erzähle, ist die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte. Ich beschreibe, was kommt, was nicht mehr anders kommen kann: die Heraufkunft des Nihilismus. Diese Geschichte kann jetzt schon erzählt werden: denn die Notwendigkeit selbst ist hier am Werke. Diese Zukunft redet schon in hundert Zeichen, dieses Schicksal kündigt überall sich an; für diese Musik der Zukunft sind alle Ohren bereits gespitzt. unsere ganze europäische Kultur bewegt sich seit langem schon mit einer Tortur der Spannung, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wächst, wie auf eine Katastrophe los: unruhig, gewaltsam, überstürzt: wie ein Strom, der ans Ende will, der sich nicht mehr besinnt, der Furcht davor hat, sich zu besinnen.1

Was Nietzsche "erzählte", entsprang somit einer geschichtlichen Notwendigkeit, und er nahm die seherische Aufgabe auf sich, die Zeichen des Nihilismus zu entziffern. Er setzte sich und der ganzen Menschheit das Ziel, den Nihilismus zu überwinden. Woher kam aber "dieser unheimlichste aller Gäste"?1

Sicher, er ist bei zahlreichen Denkern und Künstlern unseres Jahrhunderts vorzufinden, aber sein Ursprung reicht zumindest bis ins 18. Jahrhundert zurück und wurzelt in einer Periode der Geschichte, wo die Menschheit, in Kants Formulierung, aus seiner "Unmündigkeit" hervorgetreten ist, und Gott nicht mehr als ein über jedem Zweifel stehendes, letztes metaphysisches Prinzip betrachtete. Damit tat sich aber, wenn auch nicht beim Namen genannt, die große Kluft des europäischen Nihilismus auf, d.h. bevor er eigentlich in Russland eines Turgenjew oder Dostojewski die unheimliche Gestalt sinnloser menschlicher Existenz annahm. Im deutschen Idealismus war mithin bereits dessen Kehrseite, neben dem monumentalen Werk der reinen Vernunft auch schon deren Negation vorhanden. Der ungeheure Prozess der Nichtswerdung Gottes1 nahm seinen Anfang, die Tage des absoluten Geistes waren gazählt, kaum dass er sich selbst bewusst wurde. Die deutschen Idealisten von Kant bis Hegel, diese Erben Platons aber auch des Christentums - dem der Platonismus auch innewohnt, Nietzsche übersah das nicht - machten noch den Versuch, die Vernunft und den Geist an die Stelle Gottes zu setzen und damit Gott selbst zu retten. Was aber entstand, war eine kalte Lebensfremde, die all jene erschreckte, die noch glauben wollten. Die Sackgasse menschlichen Vernunftsdenkens wurde für viele unerträglich, für Kleist war es der lezte Impuls der Verzweiflung an der Unmöglichkeit menschlichen Erkennens, Novalis flüchtete zur Liebe der "heiligen Nacht", und Hölderlins Hyperion erblickte auch er verzweifelt das Nichts hinter der "schreienden Wahrheit" der Welt: "Aber ich überwältige sie nicht, die schreiende Wahrheit. Habe ich mich nicht zwiefach überzeugt? Wenn ich hinsehe ins Leben, was ist das Letzte von allem? Nichts. Wenn ich aufsteige im Geiste, was ist das Höchste von allem? Nichts." Was Hölderlin und Novalis gegen das Nichts, das Nichtsein (nullitas) anboten, war ihre Liebe und Kunst, ihre Stimme wurde aber erst später von Nietzsche und seinen Nachfolgern gehört. Der Schatten, die Chimäre des Nihilismus, die von Jacobi wohl am deutlichsten erkannt wurde, sollte eine immer größere Gestalt annehmen, bevor Nietzsche den Kampf mit ihm antrat. "Wahrlich, [...] es soll mich nicht verdrießen, wenn Sie oder wer es sei, Chimärismus nennen wollen, was ich dem Idealismus, den ich Nihilismus schelte, entgegensetze" - schrieb Jacobi an Fichte im Jahre 1799,1 den Weg einer nicht mehr zu stillenden Diskussion über Nihilismus, Atheismus und Idealismus eröffnend. Es war nun der Sinn der Welt und des Lebens selbst im Spiel, ob man es tragisch empfand wie Hölderlin, oder darüber ironisch hinweglächelte wie Jean Paul, ob man weiterhin Gott zu erkennen glaubte wie Novalis, oder eine Phantasiewelt aufzubauen bestrebt war wie E. T. A. Hoffmann, der Nihilismus schwebte nunmehr über dem Geist der Zeit. Aber die größte Phantasmagorie, das scheußlichst lachende Gespenst wurde die Wirklichkeit selbst: "Ein nichtiges Gespenst. - Mir schaudert... Siehe! Es geht umher und lacht - und lacht!" - schreit Jacobi auf.1 Dieses Lachen des Nihilismus wird Tiecks William Lovell, dieser "erste Nihilist in der deutschen Literatur"1 nicht weniger vernehmen, als Jean Pauls Siebenkäs. Dem Nihilismus in der deutschen Literatur wurde damit der Weg geebnet, der durch Büchner in das 20. Jahrhundert führen sollte. Monumentale Versuche zu seiner Überwindung in der Art eines Hermann Broch im Tod des Vergil wurden noch unternommen, aber der Kampf ist bis heute noch nicht entschieden.
In diesem Sinne sind wir Erben des 18. Jahrhunderts - für Hermann Hesse "die letzte große Kulturepoche Europas", wo der Mensch "an die Stelle der Götter gerückt" ist1 -, das die Morgenröte der Neuzeit war, mit all ihren Fragen und Hoffnungen, aber auch mit dem Zwielicht des Leidens und der Verzweiflung, mit all ihrer Aufklärung und Romantik, mit all der Neugier der Neuentdeckung. Die Fragezeichen erwarteten dringende Antworten, und die Antwortlosigkeit drohte mit einem unendlichen Nichts, mit der Entwertung aller Werte, mit Verzweiflung und Zerstören, mit Irrsinn und Selbstmord: Novalis, Hölderlin, Kleist, und ja, Nietzsche selbst sind die tragischen Beispiele dafür. Ob unter dem Decknamen "Atheismus" oder "Chimärismus" (Jacobi), "Fatalismus" (Büchner) oder "Untergang des Abendlandes" (Spengler), der Nihilismus war und ist in der abendländischen Geistesgeschichte, in der Philosophie und Literatur, anwesend. Er ist in Jean Pauls Vorschule der Ästhetik, in Goethes Werther und dessen "Krankheit zum Tode", in Fausts "die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube", in Georg Büchners Dramen ebenso - "ist nicht das Nichts Gott?", fragt Danton - wie in der Schwermut und dem Enthusiasmus der Romantiker greifbar. Die Generation eines Jean Paul oder Büchner glaubte allerdings an den absoluten Geist noch weniger als an das göttliche Prinzip der Weltregierung und blickte in eine Zukunft, wo auf den Menschen Zynismus und Pessimismus warteten.
Nach Hegel ging der Idealismus unter, und düstere Sterne wie Weltschmerz, Pessimismus, Decadence oder Materialismus (dessen vielfältigste Erscheinungsformen wie Realismus, Positivismus, Freudismus oder Marxismus inbegriffen) kamen am Horizont abendländischen Denkens auf. Für die Leser Schopenhauers hat schon der Idealismus an Plausibilität eingebüßt, es schien nun glaubhaft, dass die Welt von einem blinden Willen aufrecht erhalten wird und ihr Sinn nirgends mehr zu suchen ist. Dieser "Wille" ist allerdings noch kein "Wille zur Macht" Nietzsches, vielmehr das Gegenteil davon, eine ubiquitäre Kraft, die die Welt wie eine große Schaubühne regiert, wo die Menschen als Marionetten den Instinkten ausgeliefert leiden oder sich langweilen. Hier bietet nur die Kunst eine Erlösung, nur die Laute Orpheus' lässt das Rad des Ixion oder die qualvolle endlose Arbeit von Sisyphos innehalten, sonst kehrt der Felsblock des Schicksals ewig wieder; Grund zur Resignation oder aber der Revolte (Camus), der auf die Sinnfrage keine Antwort zu geben vermag. Die Natur selbst, einst die zarte Mutter, die dem verlorenen Sohn Asyl bot, und in der einst Spinoza noch Gott selbst zu identifizieren glaubte, konnte keinen Trost mehr geben, Novalis' und Hölderlins Hoffnung war dahin.
Um welche Natur ging es aber im ausgehenden 19. Jahrhundert? Die der Naturalisten und Positivisten war allerdings nicht mehr die der Romantiker. Die von Gott entleerte Natur begann nun, dank einem nie zuvor erlebten Aufschwung der Wissenschaften, den eigenen Gesetzen ohne die Einmischung Gottes zu folgen, "Naturgesetze" kamen in zunehmendem Maße ans Licht. Diese entseelte Natur, die die Romantiker noch verzweifelt zu erreten trachteten, wurde zum Gegenstand sophistischen rationellen Denkens, dessen Instrumentarium durch unzählige neue Entdeckungen bereichert wurde. Nicht dass sich die Ration zum ersten Mal zu Worte gemeldet hätte: Die Aufklärer haben sie aber nie gegen Gott gerichtet, Kant und Lessing waren ja ebenso überzeugte Gläubiger, wie Leibniz oder Descartes, und selbst Newton, dieser wohl bedeutendste Vorläufer des wissenschaftlichen 19. Jahrhunderts, glaubte hinter den Gesetzen der Physis das Wunder Gottes zu entdecken und zu bestätigen. Die Hybris der Wissenschaft hat aber im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht, das wissenschaftlich-pragmatische Denken erklärte Gott den Krieg und drängte ihn in eine überholte Tradition, in die Sphäre der Kirche und die Seele derjeniger zürück, die über den Fortschritt ein Auge zudrücken wollten. Die christliche Wertordnung wurde im Grunde erschüttert, das Ich, schon von Fichte auf den Thron des Weltalls gesetzt, gelangte zu einer nie zuvor gesehenen Herrschaft und erklärte sich für imstande, die Natur ohne göttliche Prinzipien zu erforschen und zu entziffern. Kein Geheimnis blieb vor der Vernunft verschleiert, das selbsichere Subjekt begann das Objekt Welt unter seine Herrschaft zu nehmen, die Kluft zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen Glauben und Wissen, zwischen "wissenschaftlicher Wahrheit und metaphyischer Totalitätsgewissheit"1 wuchs unaufhaltsam. Der Mythos war preisgegeben, das Reich Gottes wurde zur Ökonomie. Die Versuche wie derjenige Kierkegaards, den alten Glauben in einer säkularisierten Welt zu erretten, wurden immer seltener.
Auch in der Geschichte glaubte niemand mehr, ein göttliches Prinzip vorzufinden, ihre Entwicklung wurde nunmehr diesseitigen Gesetzmäßigkeiten zugeschrieben. Die Geschichte wurde von Menschen gemacht, und wenn man ihr Schicksal lenken wollte, so musste man den Menschen, samt seinen äußeren und inneren Zuständen, vor sich selbst entlarven. Dies war die Überzeugung eines Compte, Taine oder Zola, dieser Deterministen, die jeden Idealismus vernichten wollten. Und auch Deutschland, das von Frankreich nie unbeeinflusst blieb, öffnete seine Tore vor den Positivisten und Naturalisten, um den Idealismus, der noch in einem Land, das doch eben den Idealisten das Meiste zu danken hatte, übrig war, endgültig zu vertreiben. Mit Emil Dühring, diesem Moral-Positivisten, gegen den Nietzsche in seiner Moralgenealogie den Kampf aufnahm und den er, nicht ohne Malice, "das erste Moral-Großmaul" nannte,
1 schlug der Positivismus im deutschen Boden Wurzeln. Der Naturalismus, im umfänglichsten Sinne als "Naturempfindung, Naturerkenntnis, Naturkraft, Natursinn" (Leo Berg), nicht mehr aber als Liebe zu Gott verstanden, der Naturalismus also, den eine ganze Generation um Arno Holz auf die Fahne schrieb, blieb zwar nicht ohne Wirkung auf die Jahrhundertwende, konnte aber der Tradition eines Realismus, den er zu radikalisieren bestrebt war, keineswegs aufwachsen. In ihrer Begeisterung für die Natur und deren Wissenschaft gingen die Naturalisten an den Grundfragen menschlichen Daseins vorbei: Nicht von ungefähr werden sie von Nietzsche wie verschwiegen, in dessen Augen aus der ganzen Epoche fast ausschließlich nur Dostojewski hervorragt.
Und dennoch ist auch Nietzsche das Kind dieses Zeitalters, mit dem und dessen Gespenstern er sich zu konfrontieren hatte. Das Gespenst des Nihilismus, das sich zu dieser Zeit zu vollständiger Gestalt entfaltete, zeigte nun mehrere Köpfe: Zu Christentum, Moral, Pessimismus kam die Wissenschaft hinzu. Der Erbe des sokratischen Erkenntnismenschen, der moderne Wissenschaftler fing an zu schalten und walten, das Leben selbst wurde zu Logik und Wissenschaftlichkeit, der sogar die Kunst nicht zu entkommen vermochte. Das wissenschaftliche Denken gelangte zu vollem Selbstbewusstsein und drohte, sich alle Bereiche des Lebens auszueignen, der metaphysischen Tradition wurde das "Wunder" der Dampfmaschine und des Webstuhls entgegengestellt, woraus zwar Profit aber auch, wie immer, neues menschliches Leiden entstand. Nein, die Wissenschaft und Fortschritt (wohin aber?) konnte, trotz anfänglicher Begeisterung, die großen Fragen menschlicher Existenz nicht lösen, die Antwort auf das »Wie«? verschwieg die Antwort auf »Warum«?, die Frage aller Fragen für jeden Antinihilisten. Im Jahre 1887 notiert Nietzsche: "Nihilism: es fehlt das Ziel; es fehlt die Antwort auf das »Warum?« was bedeutet Nihilism? - dass die obersten Werte sich entwerten."
1 Wenn die überliefereten Antworten, die einst verbindlichen Begriffe nicht mehr ausreichen, dann entsteht ein Vakuum der Wertlosigkeit und Ziellosigkeit, das auch von der Wissenschaft, wie stolz sie auf ihre Erklärungen auch sein mag, nicht ausgefüllt werden kann. Dadurch, dass das Kausalitätsprinzip - auch dieses von Nietzsche negiert1 - zum Weltprinzip gemacht wurde, konnte kein höchstes Ziel dem Menschen gegeben werden, von der Wissenschaft schon deshalb nicht, weil sie sich in letzter Instanz als Erbe der asketischen Moral entlarven musste. Denn, indem sie selbst "niemals werteschaffend" sein kann, sie ist "die beste Bundesgenossin des asketischen Ideals"; schlimmer noch: sie "ist heute darauf aus, dem Menschen seine bisherige Achtung vor sich auszureden"; ihr eigener "Stolz", der in der "herbe[n] Form von stoischer Ataraxie" in Erscheinung tritt, proklamiert die "Selbstverachtung des Menschen als dessen letzten, ernstesten Anspruch auf Achtung bei sich selbst" und dadurch den "Triumph des asketischen Ideals."1 Die moderne Wissenschaft, die sich als "eigentliche Wirklichkeits-Philosophie", die "ersichtlich nur an sich selber" glaubt und dadurch den Kampf gegen jede Metaphysik ankündigen will, lässt letzten Endes eben das Gegenteil von all dem erkennen: "Gerade das Gegenteil von dem, was hier behauptet wird, ist die Wahrheit: die Wissenschaft hat heute schlechterdings keinen Glauben an sich, geschweige ein Ideal über sich."1 Keinen Glauben an sich, dennoch einen nihilistischen Glauben an die objektive, wissenschaftlich messbare und prüfbare "Wahrheit", die aber nie vorausseztungslos und vorurteilslos sein kann, welche Voraussetzung, so Nietzsche, moralischer, genauer: asketischer Art ist.
Die sich somit als Äquivalent des asketischen Ideals entlarvende, durch ihren Glauben an die angeblich objektive Wahrheit als schlechthin metaphysisch, und dementsprechend, in Nietzsches Auffassung, nihilistisch geprägte Wissenschaft hat viel zu verbergen und kann, wiederum dem asketischen Ideal gleich, dem Verdacht eines "Kranken-Pharisäismus der lauten Gebärde, der am liebsten »die edle Entrüstung« spielt"
1 schwer entgehen. Was die Wissenschaft selbst nie ausspricht, ist der geradezu metaphysische Glaube an einen "Wert an sich der Wahrheit", der aber nicht zu halten ist:

Es gibt, streng geurteilt, gar keine »voraussetzungslose« Wissenschaft, der Gedanke einer solchen ist unausdenkbar, paralogisch: eine Philosophie, ein »Glaube« muss immer erst da sein, damit aus ihm die Wissenschaft eine Richtung, einen Sinn, eine Grenze, eine Methode, ein Recht auf Dasein gewinnt.
1

Der Wissenschaftler ist, so Nietzsche, nicht weniger als der Gelehrte oder der Priester von einem Ideal besessen, dass es angeblich eine Wahrheit gebe, er glaubt an eine Wahrheit, die durch Erkenntnis zu erobern wäre; und dieser Glaube geht mit dem Glauben derer Hand in Hand, die die asketische, d.h. schwache, pessimistische, lebensfeindliche, nihilistische Moral verkünden: "Und so reichen sich [...] die Darwin'sche Bestie und der allermodernste bescheidene Moral-Zärtling, der »nicht mehr beisst«, artig die Hand."
1 Ihnen und solcherart galt es zu zeigen, dass es mehrere Wahrheiten gibt, seien diese schlicht, herb, hässlich, widrig, unchristlich oder unmoralisch.1 Nicht also die von der Wissenschaft verkündete Wahrheit ist für Nietzsche plausibel, sondern die ihr zugrunde liegende jeweilige moralische Einstellung. Was es gibt, ist nicht die Wahrheit, sondern vielmehr den "Willen zur Wahrheit", den man unbedingt braucht - betont Nietzsche bereits in Die fröhliche Wissenschaft -, um nicht zu täuschen und sich täuschen zu lassen: "- und hiermit sind wir auf dem Boden der Moral."1
Diese Moral, asketisch und deshalb nihilistisch dem Wesen nach, "bejaht damit eine andere Welt", was einer Verneinung unseres Lebens gleichkommt. Hieraus ergibt sich dann die viel zitierte pathetische Frage, die man gleichsam als die Basis nietzschescher Kritik betrachten kann, dass nämlich

auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Metaphysiker, auch unser Feuer noch von dem Brande nehmen, den ein jahrtausendealter Glaube entzündet hat, jener Christenglaube, der auch der Glaube Platos war, dass Gott die Wahrheit is, dass die Wahrheit göttlich ist... Aber wie, wenn dies gerade immer mehr unglaubwürdig wird, wenn nichts sich mehr als göttlich erweist, es sei denn der Irrtum, die Blindheit, die Lüge, - wenn Gott selbst sich als unsere längste Lüge erweist?
1

Nietzsches Kritik an einer Wissenschaft, die doch eine eminente Rolle im Denken seiner Zeit spielte, geht somit mit seiner Moralkritik einher. Denn die mit Absolutheitsanspruch auftretende Wissenschaft hat zwar anscheinend Gott durch eine andere Wahrheit ersetzt, diese ist jedoch gleichsam "göttlich" geworden, weil sie einen "Glauben" an die absolut objektive Erkennbarkeit der Welt voraussetzt. Die Wissenschaft steht somit auf einem moralischen Fundament. Das gilt für die Naturwissenschaften ebenso wie die Geisteswissenschaften - von Nietzsche nicht explizit auseinander gehalten, dies hat später Dilthey verrichtet -, für die Physik
1 wie für die Geschichtswissenschaft, für die Politik (vor allem den Demokratismus englischer Ausprägung) wie für die Theologie, für Darwin wie für Dühring, Spencer oder Renan.1 Die Ausnahmen wären etwa die Physiologie, Psychologie oder die Philologie, insofern sie im Dienste der Moralgenealogie stehen,1 so wie sich deren auch Nietzsche selbst, zumeist eben zur Entlarvung moralischer Ansätze, bediente.
Der Wissenschaftler, der mit Vernunft und Verstand kalkulierende und damit zufriedene theoretische Mensch ist ein Nachfolger von Sokrates, wie es Nietzsche bereits in der Geburt der Tragödie unerschöpflich zu beweisen bestrebt war. Nach dem Ursprung der Tragödie forschend, kam er dem "Sokratismus der Moral", "woran die Tragödie starb", auf die Spuren, um die auch im modernen Zeitalter offenbare "Dialektik, Genügsamkeit und Heiterkeit des theoretischen Menschen", die schon bei Sokrates "ein Zeichen des Niedergangs, der Ermüdung, Erkrankung, der anarchisch sich lösenden Instinkte" war,
1 zu hinterfragen. Die moderne Wissenschaftlichkeit als ein späteres Nachkommen des Sokratismus, als eine "Furcht und Ausflucht vor dem Pessimismus" ist einerseits als theoretischer Optimismus, andererseits als praktischer Pessimismus von der "tiefsinnige[n] Wahnvorstellung" besessen, dass

das Denken, an dem Leitfaden der Kausalität, bis in die tiefsten Abgründe des Seins reiche, und dass das Denken das Sein nicht nur zu erkennen, sondern sogar zu korrigieren imstande sei. Dieser erhabene metaphysische Wahn ist als Instinkt der Wissenschaft beigegeben und führt sie immer und immer wieder zu ihren Grenzen, an denen sie in Kunst umschlagen muss: auf welche es eigentlich, bei diesem Mechanismus, abgesehen ist.
1

Die zu ihrer Grenze gelangte und diese Grenze erkannte Wissenschaft muss, so Nietzsche, in Kunst umschlagen, um den Weg vom Untergang und Pessimismus zum Leben und zur Welt zu finden, denn "nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt".
1
Dies ist aber schon eine andere Geschichte, die das Leben vieler Künstler in der Nachfolge Nietzsches schrieb. An dieser Stelle konstatieren wir nur, dass Nietzsche durch die Infragestellung der Wissenschaft und des Sokratismus eine Gegenposition zur logisch-rationell orientierten, wissenschafts- und fortschrittsbegeisterten Zeitgenossen - und es war auch die Überzeugung Heideggers, dass wir alle Nietzsches Zeitgenossen sind - bezog, und dass er sie für Synonyme des Nihilismus hielt. So gesehen, nimmt die Wissenschaft einen Platz unter den geistigen Erscheinungsformen einer (modernen) Zeit ein, denen man den Begriff des Nihilismus überordnen kann, und die von Nietzsche angegriffen und negiert werden. Gegenstände dieser Negation sind alle Aspekte der überlieferten christlichen Moral wie Sünde, Schuld, Gut und Böse, schlechtes Gewissen, Gott, Jenseitsglaube, "Sittlichkeit der Sitten", Mitleid, Resignation, Pessimismus, Skeptizismus, sowie das dahinter steckende Ressentiment (und dessen Synonyme Rachsucht, Ranküne) der "Missratenen, Kränklichen, Müden, Verlebten",
1 das sich seinerseits als eine verdrehte Form des Willens zur Macht, als "Wille zum Nichts",1 als "negativer Nihilismus" (Deleuze) kundgibt. Bereiche und Erscheinungsformen des Nihilismus sind die Moral, Religion, Wissenschaft und auch die Philosophie. Letztere entpuppt sich als Erbe des Platonismus, des Sokratismus oder des Christentums und kommt als Pessimismus und Skeptizismus, als Glaube ans "An-sich der Dinge" zum Vorschein, wobei der Leitfaden dieses Glaubens von der Antike durch Spinoza zu Kant, Hegel und auch Schopenhauer führt. Pessimismus und Skepsis scheinen dabei ebenso tief in der Kultur, in den "furchtsamen Horchern" gewurzelt zu sein, wie das metaphysische Denken, so dass die "Menge" jeden Ablehner der Skepsis als ein bedrohender "Sprengstoff", als ein an den russischen Anarchismus gemahnenden "Dynamit des Geistes" empfindet:

Es ist ihnen, als ob sie, bei seiner Ablehnung der Skepsis, von ferne her irgendein böses bedrohliches Geräusch hörten, als ob es irgendwo ein neuer Sprengstoff versucht werde, ein Dynamit des Geistes, vielleicht ein neuentdecktes russisches Nihilin, ein Pessimismus bonae voluntatis, der nicht bloß nein sagt, Nein will, sondern - schrecklich zu denken! - Nein tut.
1

Nietzsches Kritik, sein "Neinwollen" und "Neintun" richtet sich gegen die "Götzen" und die moralische "Falschmünzerei" abendländischer philosophischer Überlieferung, gegen "alle diese blassen Atheisten, Antichristen, Immoralisten, Nihilisten, diese Skeptiker, Ephektiker, Hektiker des Geistes", gegen die "lezten Idealisten der Erkenntnis", die sich vom asketischen Ideal losgelöst zu haben glauben, doch: "Dies Ideal ist auch ihr Ideal."
1 Diesen selbstgenannten "freien Geistern" sowie jedem lebensfeindlichen Denken gegenüber affirmiert Nietzsche das Leben als "große Gesundheit" und "Wille zur Macht", als amor fati, als dionysische Kunst und deren Ästhetik (das Schöne und Wahre gegenüber dem Sittlichen), als befreites Sein jenseits von Gut und Böse, als Übermensch, als ewige Wiederkunft des Gleichen, alle im Zeichen des Rauschgottes Dionysos, der den Antipoden des gekreuzigten Sohns christlichen Gottes verbildlicht. Diese bejahten Formen und Ziele des Daseins entsprechen Nietzsches lebenslanger Bestrebung zur Überwindung des Nihilismus.
Der Nihilismus ist, das muss man wiederholt betonen, keine "Entdeckung" Nietzsches, vielmehr aber eine unvermeidliche Erfahrung, ein tragisches Erlebnis: Daher sein ständiges Streben zur Überwindung, zum Hintersichlassen, sein Kampf für das Leben, sein "Wille zur Macht" - der, bei all seiner Diskreditierung in unserem Jahrhundert, ein Zentralbegriff seiner Philosophie bleibt, insofern er nicht falsch, etwa ideologisch verstanden wird.
1 Denn "Wille zur Macht" bedeutet hier keine Herrschaft über der Welt im Namen einer Ideologie, sondern das Beherrschen seiner selbst, Selbstverwirklichung und Selbstüberwindung, "Ewig-sich-selber-Schaffen" und "Ewig-sich-selber-Zerstören", ein ewiges Werden.1 Der Wille zur Macht ist das Leben selbst, dessen Wahrheit jenseits von jeder Moral steht und neue Werte schöpft. Diese neuen Werte, die vom Ideal des Übermenschen getragen werden,1 stehen den Werten einer vergangenen Welt, dem christlichen Gott und dem asketischen Ideal gegenüber. Denn, wie der tolle Mensch in der Fröhlichen Wissenschaft deklamiert, Gott ist, durch eine ungeheure Tat des Menschen, tot:

Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unseren Messern verblutet - wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnefeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen?
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Nietzsches berühmte Aussage soll allerdings nicht bloß als eine Blasphemie betrachtet werden; sie weist nämlich darauf hin, dass der Mensch der Neuzeit durch sein Denken und Zweifeln, durch seine Logik und Wissenschaft das Gottesprinzip untergraben, und den Grund christlichen Glaubens erschüttert hat. Der Mensch befindet sich nun in einer Leere, vor einem "furchtbaren Entweder-Oder": "Entweder schafft eure Verehrungen ab oder - euch selbst!" - deklamiert Nietzsche. Was also wählen? "Das letztere wäre der Nihilismus; aber wäre nicht auch das erstere - der Nihilismus?"
1
Nietzsches Frage führt uns nun zu einer anderen über: Gibt es wohl unterschiedliche Arten des Nihilismus, die neben seinen Konkretionen in der Moral, Wissenschaft, Kunst usw. als Kriterien seiner Einteilung dienen könnten? Angesichts des Nietzsche-Nachlasses, sowie der Ergebnisse der späteren Nihilismus-Forschung kann die Antwort nur positiv sein.
Nietzsche erwähnt in seinen Nachlassschriften mehrere Arten des Nihilismus, die wir in Anlehnung an Elisabeth Kuhn auseinander halten wollen. Hier muss man zunächst drei Sichtpunkte voneinander unterscheiden: Betrachtet man, mit Nietzsches Bezeichnung, die "Heraufkunft des Nihilismus",
1 so ergeben sich einerseits (a) drei Formen des Nihilismus als "psychologischer Zustand",1 andererseits (b) als "eigentlicher Nihilismus".1 Von einem "europäischen Nihilismus"1 ausgehend gelangt man zur Unterscheidung zwischen (c) "unvollständigem Nihilism" bzw. (d) "vollkommenem Nihilism";1 Erscheinungsformen des Letzteren sind (e) der "aktive Nihilismus"1 und (f) der "passive (auch "passivische") Nihilism".1 Die "Selbstüberwindung des europäischen Nihilismus"1 lässt schließlich den Nihilismus-Begriff Nietzsches als (g) "radikaler Nihilismus"1 bzw. als (h) "extremste Form des Nihilismus"1 erscheinen.1 Onomasiologisch betrachtet schließen sich dem Nihilismus in Nietzsches Schriften Bezeichnungen wie "Nichtsein", "Nirvana", oder eben "Pessimismus" und "Décadence" an, die von Nietzsche mehr oder weniger deckungsgleich verwendet werden.1 Die semantischen Felder der Nihilismus-Spielarten können dabei über die oben angeführten Begriffe hinausweisen. Das geschieht etwa da, wo Nietzsche einerseits zwischen dem Nihilismus der Schwäche, als ein "müder Nihilismus, der nicht mehr angreift" und andererseits dem Nihilismus der Stärke als "Zeichen der gesteigerten Macht des Geistes", das "sein Maximum von relativer Kraft" in der Form der Zerstörung erreicht, unterscheidet.1 So entwickelt sich der Kontrast zwischen dem "passiven Nihilismus" - in der Weltschmerz-, Décadence- oder Fin-de-siècle-Stimmung greifbar -, und dem "aktiven Nihilismus", der doch erst nach seinem Tode, zur Zeit des - merkwürdig genug - von vielen (darunter Thomas Mann oder Hermann Hesse, obgleich in unterschiedlicher Weise) begeistert erwarteten Ersten Weltkriegs zu seinem Gipfelpunkt gelangte. Die Forderung Nietzsches war der Übergang vom passiven zum aktiven Nihilismus, der einer Zerstörung alter, mit Geboten beschriebener "Tafeln", einer Überwindung überlieferter Wertsetzungen, mit Nietzsches bekannter Formel: der "Umwertung aller Werte" gleichkommt. Dies kommt u.a. in der symbolischen Sprache Zarathustras zum Ausdruck: "Hier sitze ich und warte, alte zerbrochene Tafeln um mich und auch neue halb beschriebene Tafeln. Wann kommt meine Stunde?"1
Dieser Nihilismus ist nicht bloß eine Denkweise, sondern auch eine Tat, ein "Neintun", das trotz dieser existentiellen Unsicherheit das Leben bejaht und nach einem weggewischten Horizont der Sinngebung strebt. Ziel ist nun der selbsttranszendierte Übermensch, eine reiche und noch unentdeckte Welt. Und wie die Zerstörung zur Voraussetzung des Neuschaffens wird, so eröffnet diese "neue Welt" die Perpektive der Überwindung des Nihilismus selbst.
Wenn aber das Prinzip des metaphysisch begründeten Wertsystems, die Gottesidee als Sinn der Welt par excellence, erschüttert wird, dann besteht noch die Möglichkeit sowohl des "passiven" als auch dem "aktiven" Nihilismus - dies war die Erfahrung der Vorläufer, und auch mancher Nachfolger Nietzsches. Der deutsche Idealismus war eine Alternative, die aber von Nietzsche ebenfalls als nihilistisch, als Fortsetzung des christlichen Denkens angesehen wurde. Die Befreiung von jedem Idealismus wurde zunächst - wie auch später von Gottfried Benn
1 - als Herausforderung und Glücksgefühl empfunden, dann aber als furchtbare Auswegslosigkeit. Und eben das ist der Unterschied etwa zwischen Hermann Hesses Steppenwolf, dem der Nihilismus als unerträglich erscheint, und Nietzsche-Zarathustra, der auf den Trümmern vergangener Ideale neue Werte schafft. Das Glücksgefühl entspringt zum einen der Befreiung von jedwedem idealistischen Zwang, zum anderen aber der Überwindung des Leidens durch dessen Bejahung. Der passive Nihilismus bleibt dagegen vor einer entleerten Transzendenz erschrocken stehen, und während der Mensch am Verlust vergangener Ideale leidet, versucht er diese Ideale wiederzufinden. Passiver Nihilismus heißt Verachtung und Verwerfen des Diesseits, des menschlichen Daseins überhaupt, er ist auch Feindseligkeit gegen die Zeit, eine vollends negative Einstellung zur Wirklichkeit. Es ist ein Nullpunkt der Existenz, der dem Selbstmord am nächsten steht - wie es in der Literatur des 20. Jahrhunderts, in der Nachfolge eines Dostojewski oder Turgenjew, immer wieder, nebst Hesse etwa bei Samuel Beckett (Waiting for Godot), Jean Paul Sartre (Die Eigeschlossenen von Altona) oder eben Wolfgang Borchert (Draußen vor der Tür) dargestellt wird. Dass man darüber häufig resigniert oder zynisch humorisiert - und beide sind Erscheinungsformen des Nihilismus -, dass man nunmehr nicht einmal imstande ist, Tragödien zu schreiben (Dürrenmatt), ist wohl tragischer als die von ihren dionysischen Ursprüngen schlechthin losgekommene Tragödie selbst.
Was zwischen alten und neuen Werten liegt, ist ein ständiges Suchen und Unterwegssein. Das Nichtfindenkönnen treibt den Menschen zu der tiefsten Verzweiflung, sogar zum Selbstmord: So hatte sich etwa Heinrich von Kleist das Leben aus diesem Grunde, besser gesagt: aus dieser Grundlosigkeit genommen. Das Zerfallen des obersten metaphysischen Prinzips macht der tiefsten, der letzten, existentiellen Angst Platz, der Schrecken des Todes, das Sterbenmüssen wird immer wieder in Erinnerung gerufen. Die Welt selbst bietet keinen Ausweg mehr aus dieser Verzweiflung, denn es gibt keinen absoluten Weg; An die Stelle des Gottesprinzips ist der Relativismus (und was anderes ist dieser, als Nihilismus?) getreten. Das Lebensgefühl geht dabei oft verloren: "Verbannt in ihre Ideenwelt, verloren die Denker den Überblick über das Leben. Noch schlimmer, sie verloren das Gefühl dafür, das Lebensgefühl."
1 Alte Werte werden relativiert, die Existenz selbst wird relativ, unerträglich für diejenigen, die nur mit alten Idealen leben konnten. Was daraus resultiert, ist Überdruss, Ekel und Langeweile. Gefühle und Leidenschaften können auch nicht unbedingt erlösend sein: Nietzsches Philosophie ist zwar wie eine große Leidenschaft, Werther war aber an einer Leidenschaft zugrunde gegangen. Und auch der Hesse-alter ego Harry Haller kann nicht wie Nietzsche leben, wie wohl er auch Nietzsches Philosophie kennt. Ein jeder muss das eigene Leben aufs Spiel setzen, mit dem eigenen Schicksal abrechnen und die Konsequenzen ziehen. Der Einsatz ist ja groß: überleben und emporwachsen wie der Phoenix, "oder Sterben", wie es auch von Hesses Siddhartha erkannt wird. Dostojewskis Idiot1 muss es durch Leiden erfahren, dass wir die Welt nicht erlösen können, der Steppenwolf wird nur um ein Haar gerettet. Der Nihilismus ist der größte Feind des europäischen Menschen, die Frage nach ihm ist eine Frage nach Leben und Tod.
Doch jene Frage ist mit einer anderen eng verbunden: Kann der moderne europäische Mensch die Erlösung finden, kann also der Nihilismus überwunden werden?
Nietzsches dionysische amor fati und sein enigmatischester Gedanke der ewigen Wiederkunft des Gleichen haben die entschiedenste Ja-Antwort auf die epochenmachende Frage gegeben. Mit dem ganzen Pathos seiner Lebensbejahung hoffte er auf die Erlösung vom Nichts und dem "großen Ekel" (welche "Erlösung" mit der christlichen nicht gleichzusetzen ist), und projizierte in die Zukunft den "Glockenschlag" der Ankunft eines Antichristen und Antinihilisten, der der Erde sein Ziel und seinen Sinn wiedergeben soll:

Aber irgendwann, in einer stärkeren Zeit, als diese morsche, selbstzweiflerische Gegenwart, muss er uns doch kommen, der erlösende Mensch der großen Liebe und Verachtung, der schöpferische Geist, den seine drängende Kraft aus allem Abseits und Jenseits immer wieder wegtreibt, dessen Einsamkeit vom Volke missverstanden wird, wie als ob sie eine Flucht vor der Wirklichkeit sei. [...] Dieser Mensch der Zukunft, der ebenso vom bisherigen Ideal erlösen wird als von dem, was aus ihm wachsen musste, vom großen Ekel, vom Willen zum Nichts, vom Nihilismus, dieser Glockenschlag des Mittags und der großen Entscheidung, der den Willen wieder frei macht, der der Erde ihr Ziel und dem Menschen seine Hoffnung zurückgibt, dieser Antichrist und Antinihilist, dieser Besieger Gottes und des Nichts - er muss einst kommen...
1

Sprach Nietzsche von der "Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte", so wird die hier prophezeite Zukunft gleichsam absehbar. Nur wird diese Hoffnung kein Wunderwarten auf eine Epiphanie bleiben, vielmehr aber als "Mensch der Zukunft" in Zarathustra Gestalt gewinnen:

- Aber was rede ich da? Genug! Genug! An dieser Stelle geziemt mir nur Eins, zu schweigen: ich vergriffe mich sonst an dem, was einem Jüngeren allein freisteht, einem »Zukünftigeren«, einem Stärkeren, als ich bin, - was allein Zarathustra freisteht, Zarathustra dem Gottlosen...
1

Es blieb und aber die Aufgabe der Nachfolger, die Stimme dieses "Zukünftigeren" zu vernehmen, eine Herauforderung derer, die ein Ohr und ein Herz für ihn hatten. Denn Nietzsches Stimme zu vernehmen hieß nicht, wie gottlos man auch sein mochte, bei einer erschlafften Resignation oder einem aufgeklärten Zynismus zu verbleiben, sondern den Kampf gegen den unheimlichsten aller Gäste aufzunehmen.
Die Zahl der Nietzsche-Nachfolger ist allerdings kaum überschaubar, und man kann keinen Anspruch darauf erheben, sie alle in Inventar zu nehmen.
1 Sie lassen sich immerhin mit Hermann Rausching (1954) in drei Generationen einteilen,1 woraus jede eine Stufe des Nihilismus seit der Jahrhundertwende ausmacht. Die erste empfand noch den Nihilismus, den Romantikern ähnlich, als eine Befreiung von willkürlichen Fesseln und als Möglichkeit der Entfaltung menschlicher Schöpferkräfte. Die zweite Generation musste dagegen an der Erfahrung des Ersten Weltkrieges verzweifeln und die Sinnlosigkeit des Einzeldaseins erkennen, woraus sie den Sinn einer Ganzheit, eines objektiven Seins zu schöpfen hoffte. Das extatische Glücksgefühl der ersten Generation verwandelte sich in die Verpflichtung für kollektive Ideale, in die Unterordnung des Einzelnen in einer idealisierten Gesellschaft. Aber auch diese Hoffnung wurde von der Geschichte vereitelt, indem die kollektiven Ideologien und ihre bekannten Auswirkungen notwendigerweise zu einer grundsätzlichen Enttäuschung an den Ideen wie Staat, Nation, Volk, Klasse usw. führen mussten. Nicht nur der Wert der subjektiven, sondern auch der kollektiv-objektiven Existenz wurde damit in Frage gestellt, der Mensch hat, so schien es, jede Einheit verloren.
Diese drei von Rausching unterschiedenen Etappen der Geschichte des Nihilismus im 20. Jahrhundert könnte man wohl mit einer vierten ergänzen, die sich an die dritte schloss, und die man als Nihilismus der Postmoderne nennen könnte - womit man nichts anderes tut, als die bereits angeführte Bezeichnung Pannwitz' wiederaufzugreifen. Diese vierte, heutige Stufe des Nihilismus beruht zum einen auf der Erfahrung einer langwierigen Ideologie, die noch jahrzehntelang die eine Hälfte des Kontinents plagte, zum anderen auf der Glaublosigkeit des europäischen Menschen, der weder an den Gott der Christen, noch an den der Philosophen glaubt, sondern jede metaphysische Frage abzulehnen geneigt ist. Dieser postmoderne Mensch ist weder Gläubiger noch Atheist, weder Reformer noch Revolutionär, weder Pessimist noch Optimist, weder moralisch noch unmoralisch, befindet sich Jenseits von Gut und Böse in postmodernem Sinne, weil er all diese Einstufungen als sinnlos erklärt und die Entweder-oder-Fragen relativiert, dekonstruiert. Er erweckt damit den Anschein, dass er am Nihilismus nicht mehr leide, als wenn sowohl Leiden als auch Glück außer Frage stünden.
Nur hat hier zum einen Nietzsche wieder Recht, indem er über die "Grenze unseres Hörsinns" schreibt: "Man hört nur die Fragen, auf welche man imstande ist eine Antwort zu finden",
1 zum anderen aber befindet man sich in einer "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen",1 wo gleichsam die Zeitalter ineinander geflochten sind, wo sich doch keiner vom Fluch oder Segen des Nihilismus lossprechen kann. Man befindet sich in demselben Schiff, wie Nietzsche, der das feste Land überlieferter Wertsetzungen hinter sich ließ, um dem modernen Menschen neue, wenn auch furchtbare Horizonte zu eröffnen:

Wir haben das Land verlassen und sind zu Schiff gegangen! Wir haben die Brücke hinter uns - mehr noch, wir haben das Land hinter uns abgebrochen! Nun, Schifflein! Sieh dich vor! Neben dir liegt der Ozean: es ist wahr, er brüllt nicht immer, und mitunter liegt er da wie Seide und Gold und Träumerei der Güte. Aber es kommen Stunden, wo du erkennen wirst, dass er unendlich ist und dass es nichts Furchtbareres gibt als Unendlichkeit.
1


ANMERKUNGEN


1. Dass der Nihilismus seit der Aufklärung ein Problem wurde, darin sind viele denkende Köpfe einig; immerhin war es Martin Heidegger, der es gezeigt hat, dass der Nihilismus das ganze abendländsiche metaphysische Denken seit Parmenides durchzieht. Aus diesem Blickwinkel ist dann Nietzsche der Gipfelpunkt des Phänomens des Nihilismus.
2. R. Pannwitz: Die Krisis der europäischen Kultur. Nürnberg 1947 (2. Aufl.), S. 52. Zu Pannwitz und seiner Nietzsche-Rezeption siehe noch meine Studie in Pro Philosophia Füzetek, Veszprém, 1999/17-18, S. 121-136.
3. Nietzsche: Zur Genealogie der Moral I, 11. (im Weiteren "GM") Bei den einzelnen Büchern Nietzsches verweise ich auf die betreffende Absatznummer. Bei den Zitaten aus dem Nachlass wird der betreffende Band der Kritischen Studienausgabe von Nietzsches Werken, Berlin-New York 1980 (abgekürzt mit KSA) angegeben.
4. Nietzsche: Also sprach Zarathustra IV, 6.
5. Hans Küng: Existiert Gott? Antwort auf die Gottesfrage der Neuzeit. München 1978, S. 383.
6. KSA 13, 189.

7. KSA 12, 125.
8. So lesen wir in einem Nachlassfragment Nietzsches von Winter 1884-85: "Der Gott, den sie einst aus Nichts geschaffen - was Wunder! er ist ihnen nun zu Nichts geworden." (KSA 11, 403)
9. Zit. nach Bruno Hillebrand: Ästhetik des Nihilismus. Von der Romantik zum Modernismus. Stuttgart 1991, S. 11.
10. Ebd., S. 12.
11. Ebd., S. 18.
12. Hermann Hesse: Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Frankfurt am Main 1987. Band 12, S. 159f.
13. Vgl. H. J. Gawoll: Nihilismus und Metaphysik. Etwicklungsgeschichtliche Untersuchung vom deutschen Idealismus bis zu Heidegger. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989, S. 72.
14. Im ganzen Kontext heißt es: "[...] Jener Berliner Rache-Apostel Eugen Dühring, der der im heutigen Deutschland den unanständigsten und widerlichsten Gebrauch vom moralischen Bumbum macht: Dühring, das erste Moral-Großmaul, das es jetzt gibt, selbst noch unter seinesgleichen, den Antisemiten." (GM III, 14)
15. KSA 12, 350.
16. So heißt es etwa in Die fröhliche Wissenschaft (FW) III, 112: "Ursache und Wirkung: eine solche Zweiheit gibt es wahrscheinlich nie - in Wahrheit steht ein Kontinuum vor uns, von dem wir ein paar Stücke isolieren; so wie wir eine Bewegung immer nur als isolierte Punkte wahrnehmen, alo eigentlich nicht sehen, sondern erschließen."
17. GM III, 25.
18. GM III, 23.
19. GM III, 14.
20. GM III, 24.
21. GM, Vorrede 7.
22. GM I, 1.
23. FW V, 344.
24. Ebd.
25. Die Physik schätzt Nietzsche nur in übertragenem Sinne als Schöpfen: "Die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden" müssen die Schöpfer ihrer selbst werden. So ist der Aufruf "Hoch lebe die Physik!" zu verstehen. (FW IV, 335)
26. Joseph Ernest Renan (1823-1892), der Autor von Das Leben Jesu ist einer von denen, die Nietzsche in seinen Schriften häufig angreift. Im Antichrist bringt er ihn als Beispiel für die "Einfalt christlicher Theologen", die "die Fortentwicklung des Gottesbegriffes vom Gotte Israels" dekretieren (Nietzsche: Der Antichrist, 17).
27. GM I, Anmerkung.
28. Nietzsche: Die Geburt der Tragödie (GT), Vorrede.
29. GT, 15.
30. GT, 5.
31. GM I, 11.
32. Vgl. etwa GM II, 24 und III, 14.
33. Jenseits von Gut und Böse VI, 208.
34. GM III, 24.
35. Es gab ja auch zur Zeit faschistischer Kritik solche, die sich von der Ideologie nicht verblenden ließen: Trotz der unmittelbaren Erfahrung des Faschismus und des Zweiten Weltkrieges nannte z.B. Rudolf Pannwitz 1951 den Begriff "Wille zur Macht" einen der Grundpfeiler von Nietzsches Philosophie. Vgl. R. Pannwitz: »Nietzsche und die Gegenwart«. IN: Pannwitz: Der Nihilismus und die werdende Welt. Nürnberg 1951, S. 289.
36. Den krassen Unterschied zwischen Werden und Sein, als Formen zweier inkommensurablen Weltanschauungen, hat wohl Oswald Spengler in seinem Untergang des Abendlandes am deutlichsten nachgewiesen.
37. Eine eindeutige, von jeder ideologischen Färbung gereinigte Definition des Befgriffes "Übermensch" finden wir bei Martin Heidegger (Vorlesung aus dem Jahre 1953): "Bei dem Wort 'Übermensch' müssen wir allerdings zum voraus alle falschen und verwirrrenden Töne fernhalten, die für das gewöhnliche Meinen anklingen. Mit dem Namen 'Übermensch' benennt Nietzsche gerade nicht einen bloß überdimensionalen bisherigen Menschen. Er meint auch nicht eine Menschenart, die das Humane wegwirft und die nackte Willkür zum Gesetz und eine titanische Raserei zur Regel macht. Der Übermensch ist vielmehr, das Wort ganz wörtlich genommen, derjenige Mensch, der über den bisherigen Menschen hinausgeht, einzig um den bisherigen Menschen allererst in sein noch ausstehendes Wesen zu bringen und ihn darin fest zu stellen." Vgl. M. Heidegger: »Wer ist Nietzsches Zarathustra?« IN: A. Guzzoni: (Hrsg.): 100 Jahre philosophische Nietzsche-Rezeption. Frankfurt am Main 1991, S. 75 f.
38. FW III, 125.
39. FW V, 346.
40. KSA 13, 189 f., 215.
41. KSA 13, 46. Siehe dazu noch L. Landgrebe: »Zur Überwindung des europäischen Nihilismus«. IN: D. Arendt (Hrsg.): Der Nihilismus als Phänomen der Geistesgeschichte in der wissenschaftlichen Diskussion unseres Jahrhunderts. Darmstadt 1974, S. 26 f.
42. KSA 13, 190.
43. KSA 12, 131.
44. KSA 12, 476.
45. KSA 12, 216.
46. KSA 12, 351.
47. KSA 13, 215. Dass aber die Selbstüberwindung des europäischen Nihilismus nicht nur für den europäischen Kulturkreis von Belang ist, bezeugt etwa der Japaner Nishitani Keiji mit seinem The Self-Oversoming of Nihilism. Transl. by Graham Parks. New York 1990.
48. KSA 12, 571.
49. KSA 12, 213. Dazu: Küng, a.a.O., S. 435.
50. Siehe dazu: Elisabeth Kuhn: Friedrich Nietzsches Philosophie des europäischen Nihilismus. Berlin 1992, S. 9.
51. Andere Nihilismus-Attribute der späteren Nietzsche-Kritik ergeben sich aus den verschiedenen Deutungen. So tarnt etwa der "negative Nihilismus" den Willen zur Macht als dessen eine Qualität als "Willen zum Nichts", während der "reaktive Nihilismus" die Nichtigkeit oberster Werte verkündet und jede Art Willen verneint. (Deleuze: Nietzsche et la philosophie) Der letztere mündet immerhin in "passiven Nihilismus", welche Bezeichnung bei Nietzsche expressis verbis vorhanden ist.
52. KSA 12, 350.
53. Also sprach Zarathustra III, »Von den alten und neuen Tafeln«, § 1.
54. So hieß es in der Akademierede Benns: "Aber wir kommen die Frage nicht herum, was erleben wir denn in diesen Räuschen, was erhebt sich denn in dieser schöpferischen Lust, was gestaltet sich in ihrer Stunde, was erblickt sie, auf welche Sphinx blickt denn ihr erweitertes Gesicht? Und die Antwort kann nicht anders lauten, sie erblickt auch hier am Grunde nur Strömendes hin und her, eine Ambivalenz zwischen Bilden und Entformen, Stundengötter, die auflösen und Gestalten, sie erblickt etwas Blindes, die Natur, erblickt das Nichts." Zit. nach: Andreas Wolf: Ausdruckswelt. Eine Studie über Nihilismus und Kunst bei Benn und Nietzsche. Hildesheim-Zürich-New York 1988, S. 135.
55. Hillebrand, a.a.O., S. 4.
56. "Wir müssen Dostojewski lesen", schreibt Hermann Hesse, "wenn wir elend sind, wenn wir bis zur Grenze unserer Leidensfähigkeit gelitten haben und das ganze Leben als eine einzige brennende, glühende Wunde empfinden, wenn wir Verzweiflung atmen und Tode der Hoffnungslosigkeit gestorben sind." IN: Hermann Hesse, a.a.O., S. 305.
57. GM II, 24.
58. GM II, 25.
59. Für die Nietzsche-Rezeption in Deutschland nach 1890 siehe Steven E. Aschheim: The Nietzsche Legacy in Germany 1890-1990. Berkeley-Los Angeles 1992 und Richard Frank Krummel: Nietzsche und der deutsche Geist. Bde I und II. Berlin/New York 19982.
60. Vgl. H. Rausching: »Masken und Metamorphosen des Nihilismus«. IN: D. Arendt, a.a.O., S. 99-125.
61. FW III, 196.
62. Vgl. Kuhn, a.a.O., S. 8.
63. FW III, 124.


1 Dass der Nihilismus seit der Aufklärung ein Problem wurde, darin sind viele denkende Köpfe einig; immerhin es war Martin Heidegger, der es gezeigt hat, dass der Nihilismus das ganze abendländsiche metaphysische Denken seit Parmenides durchzieht. Aus diesem Blickwinkel ist dann Nietzsche der Gipfelpunkt des Phänomens des Nihilismus.

2 R. Pannwitz: Die Krisis der europäischen Kultur. Nürnberg 1947 (2. Aufl.), S. 52. Zu Pannwitz und seiner Nietzsche-Rezeption siehe noch meine Studie in Pro Philosophia Füzetek, Veszprém, 1999/17-18, S. 121-136.

3 Nietzsche: Zur Genealogie der Moral I, 11. (im Weiteren "GM") Bei den einzelnen Büchern Nietzsches verweise ich auf die betreffende Absatznummer. Bei den Zitaten aus dem Nachlass wird der betreffende Band der Kritischen Studienausgabe von Nietzsches Werken, Berlin-New York 1980 (abgekürzt mit KSA) angegeben.

1 Nietzsche: Also sprach Zarathustra IV, 6.

1 Hans Küng: Existiert Gott? Antwort auf die Gottesfrage der Neuzeit. München 1978, S. 383.

1 KSA 13, 189.

1 KSA 12, 125.

1 So lesen wir in einem Nachlassfragment Nietzsches von Winter 1884-85: "Der Gott, den sie einst aus Nichts geschaffen - was Wunder! er ist ihnen nun zu Nichts geworden." (KSA 11, 403)

1 Zit. nach Bruno Hillebrand: Ästhetik des Nihilismus. Von der Romantik zum Modernismus. Stuttgart 1991, S. 11.

1 Ebd., S. 12.

1 Ebd., S. 18.

1 Hermann Hesse: Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Frankfurt am Main 1987. Band 12, S. 159f.

1 Vgl. H. J. Gawoll: Nihilismus und Metaphysik. Etwicklungsgeschichtliche Untersuchung vom deutschen Idealismus bis zu Heidegger. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989, S. 72.

1 Im ganzen Kontext heißt es: "[...] Jener Berliner Rache-Apostel Eugen Dühring, der der im heutigen Deutschland den unanständigsten und widerlichsten Gebrauch vom moralischen Bumbum macht: Dühring, das erste Moral-Großmaul, das es jetzt gibt, selbst noch unter seinesgleichen, den Antisemiten." (GM III, 14)

1 KSA 12, 350.

1 So heißt es etwa in Die fröhliche Wissenschaft (FW) III, 112: "Ursache und Wirkung: eine solche Zweiheit gibt es wahrscheinlich nie - in Wahrheit steht ein Kontinuum vor uns, von dem wir ein paar Stücke isolieren; so wie wir eine Bewegung immer nur als isolierte Punkte wahrnehmen, alo eigentlich nicht sehen, sondern erschließen."

1 GM III, 25.

1 GM III, 23.

1 GM III, 14.

1 GM III, 24.

1 GM, Vorrede 7.

1 GM I, 1.

1 FW V, 344.

1 Ebd.

1 Die Physik schätzt Nietzsche nur in übertragenem Sinne als Schöpfen: "die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden" müssen die Schöpfer ihrer selbst werden. So ist der Aufruf "Hoch lebe die Physik!" zu verstehen. (FW IV, 335)

1 Joseph Ernest Renan (1823-1892), der Autor von Das Leben Jesu ist einer von denen, die Nietzsche in seinen Schriften häufig angreift. Im Antichrist bringt er ihn als Beispiel für die "Einfalt christlicher Theologen", die "die Fortentwicklung des Gottesbegriffes vom Gotte Israels" dekretieren (Nietzsche: Der Antichrist, 17).

1 GM I, Anmerkung.

1 Nietzsche: Die Geburt der Tragödie (GT), Vorrede.

1 GT, 15.

1 GT, 5.

1 GM I, 11.

1 Vgl. etwa GM II, 24 und III, 14.

1 Jenseits von Gut und Böse VI, 208.

1 GM III, 24.

1 Es gab ja auch zur Zeit faschistischer Kritik solche, die sich von der Ideologie nicht verblenden ließen: Trotz der unmittelbaren Erfahrung des Faschismus und des Zweiten Weltkrieges nannte z.B. Rudolf Pannwitz 1951 den Begriff "Wille zur Macht" einen der Grundpfeiler von Nietzsches Philosophie. Vgl. R. Pannwitz: »Nietzsche und die Gegenwart«. IN: Pannwitz: Der Nihilismus und die werdende Welt. Nürnberg 1951, S. 289.

1 Den krassen Unterschied zwischen Werden und Sein, als Formen zweier inkomensurablen Weltanschauungen, hat wohl Oswald Spengler in seinem Untergang des Abendlandes am deutlichsten nachgewiesen.

1 Eine eindeutige, von jeder ideologischen Färbung gereinigte Definition des Befgriffes "Übermensch" finden wir bei Martin Heidegger (Vorlesung aus dem Jahre 1953): "Bei dem Wort 'Übermensch' müssen wir allerdings zum voraus alle falschen und verwirrrenden Töne fernhalten, die für das gewöhnliche Meinen anklingen. Mit dem Namen 'Übermensch' benennt Nietzsche gerade nicht einen bloß überdimensionalen bisherigen Menschen. Er meint auch nicht eine Menschenart, die das Humane wegwirft und die nackte Willkür zum Gesetz und eine titanische Raserei zur Regel macht. Der Übermensch ist vielmehr, das Wort ganz wörtlich genommen, derjenige Mensch, der über den bisherigen Menschen hinausgeht, einzig um den bisherigen Menschen allererst in sein noch ausstehendes Wesen zu bringen und ihn darin fest zu stellen." Vgl. M. Heidegger: »Wer ist Nietzsches Zarathustra?« IN: A. Guzzoni: (Hrsg.): 100 Jahre philosophische Nietzsche-Rezeption. Frankfurt am Main 1991, S. 75 f.

1 FW III, 125.

1 FW V, 346.

1 KSA 13, 189 f., 215.

1 KSA 13, 46. Siehe dazu noch L. Landgrebe: »Zur Überwindung des europäischen Nihilismus«. IN: D. Arendt (Hrsg.): Der Nihilismus als Phänomen der Geistesgeschichte in der wissenschaftlichen Diskussion unseres Jahrhunderts. Darmstadt 1974, S. 26 f.

1 KSA 13, 190.

1 KSA 12, 131.

1 KSA 12, 476.

1 KSA 12, 216.

1 KSA 12, 351.

1 KSA 13, 215. Dass aber die Selbstüberwindung des europäischen Nihilismus nicht nur für den europäischen Kulturkreis von Belang ist, bezeugt etwa der Japaner Nishitani Keiji mit seinem The Self-Oversoming of Nihilism. Transl. by Graham Parks. New York 1990.

1 KSA 12, 571.

1 KSA 12, 213. Dazu: Küng, a.a.O., S. 435.

1 Siehe dazu: Elisabeth Kuhn: Friedrich Nietzsches Philosophie des europäischen Nihilismus. Berlin 1992, S. 9.

1 Andere Nihilismus-Attribute der späteren Nietzsche-Kritik ergeben sich aus den verschiedenen Deutungen. So tarnt etwa der "negative Nihilismus" den Willen zur Macht als dessen eine Qualität als "Willen zum Nichts", während der "reaktive Nihilismus" die Nichtigkeit oberster Werte verkündet und jede Art Willen verneint. (Deleuze: Nietzsche et la philosophie) Der letztere mündet immerhin in "passiven Nihilismus", welche Bezeichnung bei Nietzsche expressis verbis vorhanden ist.

1 KSA 12, 350.

1 Also sprach Zarathustra III, »Von den alten und neuen Tafeln«, § 1.

1 So hieß es in der Akademierede Benns: "Aber wir kommen die Frage nicht herum, was erleben wir denn in diesen Räuschen, was erhebt sich denn in dieser schöpferischen Lust, was gestaltet sich in ihrer Stunde, was erblickt sie, auf welche Shinx blickt denn ihr erweitertes Gesicht? Und die Antwort kann nicht anders lauten, sie erblickt auch hier am Grunde nur Strömendes hin und her, eine Ambivalenz zwischen Bilden und Entformen, Stundengötter, die auflösen und Gestalten, sie erblickt etwas Blindes, die Natur, erblickt das Nichts." Zit. nach: Andreas Wolf: Ausdruckswelt. Eine Studie über Nihilismus und Kunst bei Benn und Nietzsche. Hildesheim-Zürich-New York 1988, S. 135.

1 Hillebrand, a.a.O., S. 4.

1 "Wir müssen Dostojewski lesen", schreibt Hermann Hesse, "wenn wir elend sind, wenn wir bis zur Grenze unserer Leidensfähigkeit gelitten haben und das ganze Leben als eine einzige brennende, glühende Wunde empfinden, wenn wir Verzweiflung atmen und Tode der Hoffnungslosigkeit gestorben sind." IN: Hermann Hesse, a.a.O., S. 305.

1 GM II, 24.

1 GM II, 25.

1 Für die Nietzsche-Rezeption in Deutschland nach 1890 siehe Steven E. Aschheim: The Nietzsche Legacy in Germany 1890-1990. Berkeley-Los Angeles 1992 und Richard Frank Krummel: Nietzsche und der deutsche Geist. Bde I und II. Berlin/New York 19982.

1 Vgl. H. Rausching: »Masken und Metamorphosen des Nihilismus«. IN: D. Arendt, a.a.O., S. 99-125.

1 FW III, 196.

1 Vgl. Kuhn, a.a.O., S. 8.

1 FW III, 124.



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