Krieg der Wörter und der Bilder
Von J. A. Tillmann
Jeder Krieg wandle auf
dem Pfad der Täuschung, meinte schon der große chinesische
Stratege Sun-tse in der Antike, und das ist heute nicht anders. Mehr
noch: Diese Wahrheit beschränkt sich längst nicht mehr auf
Kampfmanöver der gegnerischen Truppen, sondern erstreckt sich
auf das gesamte "Hinterland", auf den totalen Alltag zwischen
Nachrichtenquellen, Banktransaktionen und Computernetzen. Zudem sind
die sogenannten Informationsgesellschaften Täuschungen ohnehin
stärker ausgeliefert. Ihr "informativer" Charakter,
die verwendeten Computertechnologien und die technischen Medien machen
unsere Länder in gewisser Hinsicht schutzloser. Deshalb ist die
Frage der täuschungsfreien Wahrnehmung wichtiger denn je, und
zwar durchaus nicht primär im klassischen Bereich der militärischen
Aufklärung. Sogar für die Heerführung so hochentwickelter
Länder wie den Vereinigten Staaten bedeutet die Wahrnehmung von
Angriffen ein immer größeres Problem: in welchem Bereich
sie geschehen, ob man sie überhaupt von anderen Ereignissen unterscheiden
kann - den Krieg vom Nichtkrieg. Ob der Info-Kollaps einer größeren
Bank etwa durch einen bloßen Maschinenfehler ausgelöst
wurde oder ob der Feind bereits ins Finanz- und Wirtschaftssystem
eingedrungen ist.
Auch der jugoslawische Krieg wandelt auf dem Pfad der Täuschung.
Hier erscheint eine neue Version der informativen Kriegführung,
denn die entscheidenden Schlachten werden in Wirklichkeit um Bilder,
in Bildern und durch Bilder ausgetragen. Militärisch ist die
Allianz zwar immer deutlicher überlegen, aber bei der Vermittlung
der Kriegsbilder unterliegt sie bislang. Die NATO war nicht nur unfähig,
sich die Unterstützung der serbischen Bevölkerung gegen
das schon seit einem Jahrzehnt in ihrem Land wütende Regime zuzusichern,
sondern sie scheint auch die Unterstützung der Weltöffentlichkeit
einzubüßen. Und dafür gibt es zweierlei Gründe.
Der eine ist der Umgang der serbischen Nationalsozialisten mit den
Medien. Nicht nur die Heerführer wissen, welche Bilder das Land
nicht verlassen dürfen, wie man das serbische Volk manipulieren
kann und womit man die ausländischen Medien füttern muß.
Das haben ihnen die jüngsten Kriege hinlänglich beigebracht.
(Einer meiner Freunde in der Vojvodina erfuhr von einem serbischen
Bekannten beim Fernsehfunk, wie in Krankenhäusern amputierte
Körperteile als "Beweise für Atrozitäten von Bosniern"
ins Bild gerückt werden...) Darüber hinaus kennen die serbischen
Manipulationsexperten die Bildergier der Medien. Da die Zuschauer
durch Berichte über frühere Kriege an spektakuläre
Aufnahmen gewöhnt sind, haben die heutigen Kampfmeldungen ohne
lokale Bilder absolut keinen Wert. Überdies muß ja auch
die Sendezeit immer irgendwie ausgefüllt werden. Bilder zum Thema
"vernichtende Wirkung von Bombardierungen" sind also derzeit
Jugoslawiens Exportschlager. Da die objektiven ausländischen
Korrespondenten schleunigst des Landes verwiesen wurden, besitzt Belgrad
das Propagandamonopol auf dem Weltmedienmarkt. Und das Arsenal an
Kriegsbildern ist unerschöpflich: Neben dem gegenwärtigen
Material stehen ihnen auch Aufnahmen aus dem Krieg gegen die Slowenen,
Kroaten und Bosnier zur Verfügung - mit unbeschränkten Möglichkeiten
zum Manipulieren. Falls die Bomben weniger sensationelle Bilder hinterlassen,
helfen sie nach: schießen auf Flüchtlingskonvois, "inszenieren"
Fehlschläge. Haben sie die "Nachricht" dann hinausposaunt,
können sie sich der weltweiten Unterstützung weiterer Massen
gewiß sein, muß die NATO Untersuchungen einleiten, Erklärungen
abgeben. Deshalb beschränkt sich der Kriegsschauplatz mitnichten
auf Jugoslawien: Er tangiert die ausländischen - so auch die
ungarischen - Medien, wobei die serbischen Nationalsozialisten schon
eine Reihe von Siegen registrieren können. Die gewonnenen Schlachten
um die Zuschauerblicke sind nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken,
daß die überlebenden Opfer von dem erlittenen Grauen nur
- wenn überhaupt - sprechen können; Bilder haben
sie nicht zur Verfügungt! Ein beispielloser Widerspruch, der
zudem auf die Qualität unserer Medien aufmerksam macht; auf den
himmelschreienden Gegensatz zwischen den Berichten tausender Leidtragender,
zwischen der Glaubwürdigkeit des Wortes auf der einen und der
manipulierten Bildlichkeit, den leichtgläubigen Augen auf der
anderen Seite.
Freilich stellt sich die Frage, wie die serbische Führung überhaupt
zum Gefecht an der Bilderfront in der Lage war und wie ihr noch heute,
Wochen nach dem Beginn der Bombardierungen, Erfolge möglich sind.
Dies scheint in erster Linie mit der Ungeklärtheit der sogenannten
Souveränitätsfrage, den Schranken des internationalen Rechtsdenkens
zusammenzuhängen. Kommt doch die Unhaltbarkeit des Konzepts von
der territorial-nationalstaatlichen Souveränität immer offensichtlicher
zum Tragen. Ein Stück - von diesem oder jenem Volk bewohntes
- Land, gestern noch mit der Idee von "Blut und Boden" behaftet,
hat sich als ein Teil der in globalen Zusammenhängen vernetzten
Erde erwiesen. Der Globus ist zweifellos ein "Weltdorf",
obendrein weniger wegen seiner Kommunikationsnetze denn wegen seines
Teilhabens an den Lebensbedingungen. Wenn in einem Dorf jemand den
Verstand verliert und zu töten beginnt, wird er festgenommen
und entmündigt. Wenn bei einem Land oder einer Nation Anzeichen
von Irrsinn auftreten - wofür die Geschichte Beispiele geliefert
hat -, erlischt seine/ihre Souveränität von selbst. Ebenso
wie das "Heiligtum" der Wohnung nicht verletzt wird, wenn
jemand seinem Nachbarn zu Hilfe eilt, bei dem ein Mörder am Werk
ist. Im ehemaligen Jugoslawien richtete sich der Wahnsinn des serbischen
Nationalsozialismus gegen das nunmehr vierte Volk, als die NATO eingriff.
Das nationalistische Opium infizierte das Land vornehmlich über
die elektronischen Medien. Da wäre es naheliegend gewesen, bei
der Wiederherstellung der serbischen Normalität mit deren Ausschaltung
zu beginnen. Doch dies scheint schwierig, wohl kaum aus militärischen
und technischen Gründen, sondern durch tabuisierte Begriffe wie
Souveränität und "Meinungsfreiheit". Dabei hätten
- statt der "patriotischen" Hetzereien des totalitären
Hör- und Fernsehfunks - vom Ausland gesendete Beiträge hervorragender
serbischer Emigranten sogar das Regime zum Sturz bringen können,
ganz zu schweigen von den durch Besonnenheit geretteten Menschenleben.
Und dann hätte es gar nicht passieren können, daß
die Medien des Wahnsinns im Krieg der Bilder die Oberhand gewinnen
und so viele Menschen täuschen.