Die
Macht mit uns
"Krieg der Sterne" nach zwanzig Jahren
von J. A. Tillmann
Welche Macht?
In einem japanischen Traktat aus dem Mittelalter heißt es, die Kunst
des Säbelfechtens habe drei Stufen: auf der ersten vergehe keine Zeit
zwischen dem Angriff und der Wahrnehmung des Angriffs, auf der zweiten
vergehe keine Zeit zwischen Angriff und Abwehr, und auf der dritten,
der höchsten Stufe des Könnens vergehe überhaupt keine Zeit, dann
treffe der Säbel selbst das Ziel. An diese Abhandlung über die zen-buddhistische
Kampfkunst mußte ich denken, als ich mir den "Krieg der Sterne"
noch einmal ansah. Durch den beträchtlichen Pathos der Distanz erscheint
der vor zwanzig Jahren gedrehte Kultfilm mittlerweile in einem anderen
Licht. Mir jedenfalls sagte er heute weitaus mehr über seinen Ursprung.
In erster Linie über Amerika, vor allem über dessen östliche Quellen.
So fiel mir auf, daß die (Laser)Säbelschwinger dieser Story trotz
der ritterlichen Kulissen nicht König Arthurs späte Nachfahren sind,
sondern vielmehr Anhänger des Samurai-Geistes. Denn die übernatürliche
Macht, die sie heraufbeschwören und auf die sie sich stützen, ist
unpersönlich. Im Westen kennt man dergleichen nicht, dies ist eine
östliche Konzeption. Natürlich haben weder Autoren noch Akteure in
einem Zen-Kloster an einschlägigen "Meisterkursen" teilgenommen.
Doch der Geist der Macht (oder die Macht des Geistes) ist allemal
- wie ja auch die Abschiedsfloskel im Film lautet - mit ihnen. So
kann man die Filmtrilogie aufgrund ihrer beispiellosen Popularität
als bislang wirkungsvollste Manifestation der Vermischung östlicher
und westlicher Kulturen betrachten.
Freilich hat es auch früher Beispiele dafür gegeben: Der Pop-Buddhismus
ist seit den vierziger Jahren - durch so hervorragende Komponisten
wie John Cage - maßgeblich im amerikanischen Geistesleben präsent.
Zur Frage steht auch gar nicht die Tatsache der Vermischung, sondern
deren Ausgang: "Zur Zeit findet ein entscheidender Kampf um
die Weltkultur statt", schreibt Detlef B. Linke, ein nicht nur
auf seinem engeren Fachgebiet bewanderter deutscher Hirnforscher.
"Es sieht so aus, als ob die beiden Hauptcharakteristika der
abendländischen Kultur, die Egologie und die Technik, über die in
Asien entwickelten Lebensformen völlig die Oberhand gewinnen würden."
Lucas' Evangelium*
erweckt ebenfalls den Anschein, Egologie und Technik würden über den
Geist des Ostens obsiegen. Unter den Quellen seines Filmes, also
Märchen, Science-fiction, Western, ist die letztere, große Egos und
einsame Helden hervorbringende Gattung am markantesten. Sie bildet
das Bindemittel der Trilogie; gleichzeitig ist sie die wirklich filmische
und vollkommen in der amerikanischen Tradition stehende Komponente.
Zwar befindet sich der wilde Westen diesmal in einer fernen Galaxis,
aber der Auftakt der Geschichte intoniert die typische Grundsituation:
den Kampf zwischen den Siedlern einer öden Gegend und einem nach
Weltherrschaft strebenden Reich. Die Siedler des Randplaneten werden
nach dem üblichen dramaturgischen Schema niedergemetzelt, allerdings
nicht von herumstreifenden Banden, sondern von Kommandos eines Imperiums,
das sich der Dunklen Seite der Macht angeschlossen hat. So erzählt
der Weltraumwestern - gleich seinem Urbild - wieder nur die Geschichte
von Amerikas mythischer Landnahme. (Er verkündet sogar offen die
republikanische Bündnis-Idee - gegenüber der kaiserlichen Alleinherrschaft
- wenn auch mit dem märchenhaften, aber politisch korrekten Zierat
eines verfassungsmäßigen Königintums.) Die freien Cowboys streifen
hier zwar in High-Tech-Rüstung und in den Breschen zwischen den Armeen
herum, aber der Kosmos ist noch weitläufiger und noch großartiger
als die Prärie. Sogar der kleinstädtische Saloon ist da - leicht abgewandelt:
als entlegene Kneipe, in der die Wesen der verschiedenen Welten ihre
verschieden berauschenden Getränke picheln. Doch die Choreographie
der Raufereien, die Zuspitzung des Konflikts verläuft bereits ganz
nach dem herkömmlichen Muster. Zwar liefern sich die Auserwählten
in diesem Fall neben Coltdialogen mitunter auch archaische Fechtduelle,
aber das soll - abgesehen von demonstrierter Ritterrüstung bzw.
akzentuierter Kraft - vornehmlich als Kontrast zu den technischen
Elementen dienen. (Was auch unentbehrlich ist, da die Rösser der
Heroen diesmal mit anderthalbfacher Lichtgeschwindigkeit stieben.
Aufgrund der größeren Entfernungen und der hochgradigen Komplexität
sind selbst ihre Adleraugen immer wieder auf den Spähcomputer eines
Roboters angewiesen...) Neben dem "aristokratischen", durch
Abstammung zum Helden avancierenden Luke Skywalker ist der von Harrison
Ford verkörperte Schmuggler Han Solo die wahre Western-Gestalt. Kaum
hat er von der in Gefangenschaft geratenen Prinzessin gehört, hängt
er seinen Job an den Nagel und zieht los, um sie zu befreien. Wie
seine Kollegen in Wildwest, wächst er über sich hinaus und wird -
ähnlich seinen Vorbildern - zum Helden.
Kult und Liturgie
Vilém Flusser zufolge ist das Kino eine "kartesische Basilika".
Allerdings sagt er dies in einem Essay über die Geste des Filmens
fast ohne jeden religiösen Bezug, im Hinblick auf die architektonische
Ähnlichkeit zwischen Kino und Basilika. Die kultische Dimension erscheint
bei ihm höchstens nebenbei, im Zusammenhang mit der Parallele zur
Schattenbetrachtung im Kino von heute und in der Höhle von einst.
Deshalb hätte er es sicher interessant gefunden, daß die "Glücklichen",
die eine Karte für die (Wieder)Geburtstagsaufführung von "Krieg
der Sterne" ergattern konnten, laut Pressebericht "in nicht
nur einem Kino den Text gemeinsam mit den Schauspielern auf der Leinwand
sprachen" ("hvg" vom 10. 2. 97). Das heißt, in der
"kartesischen Basilika" geschah diesmal nicht nur eine metaphorische
Kulthandlung, eine beschauliche Anteilnahme, sondern eine wahre Liturgie,
eine Zeremonie samt Bekenntnis-Oration. (Bei der Entstehung dieses
beispiellosen Kults spielte gewiß auch eine Rolle, daß "Krieg
der Sterne" die erste Folge war, deren verschiedene Lizenzprodukte
der Handel schon zur Premiere anbot. So konnte die Phantasie kontinuierlich
mit greifbaren Mitteln genährt werden...)
Zivilreligion
Ende der sechziger Jahre verfaßte R. B. Bellah eine Studie über die
amerikanische Zivilreligion. Er charakterisierte sie, nach Rousseau,
als einen von Konfessionen und Kirchen unabhängigen Kult, der über
das pure staatsbürgerliche Bewußtsein hinaus eine Art gemeinsame
Bande zwischen den Bürgern knüpft. Hannes Böhringer hält den Western
für Amerikas Zivilreligion. Die Akzeptanz dieses märchenhaften, morgenländischen
Techno-Westerns ist ein beredter Beweis für den Grundgedanken, daß
im Western eine nationale Selbstdeutung der Verhaltensweisen und Werte
eingeübt wird. Doch keiner von ihnen hätte wohl je gedacht, daß die
- zweifellos auch zahlreich anwesenden erwachsenen - Zuschauer in
einem amerikanischen Kino eines Tages gemeinsam mit der Leinwand-Stimme
lautstark bekennen, welch große Gewalt die Macht über den schwachen
Willen habe.
Die Aufnahme des Sternkriegsfilms über Macht und Willen erhärtet
Detlev B. Linkes Diagnose noch mehr: daß die Frage der Eingliederung
der östlichen Denkweisen in die westliche Weltkonzeption, die Integration
der östlichen und westlich-technischen Denkweisen ein Grundproblem
unserer künftigen Weltkultur sein wird.
Bisher ergab sich diese Frage aus westlicher Sicht. Dabei dürfte auch
der Osten durchaus noch ein Wörtchen beim Wie der Integration mitzureden
haben. Vor allem Aspekte aus der Heimat des Samurai-Geistes sind wohl
zu erwägen. Insbesondere, wenn man die einzigartige Assimilationsfähigkeit
der japanischen Kultur in Betracht zieht, die Tatsache, daß sie "nicht
vom Virus des Ursprungs oder der Authentizität 'affiziert'" ist
(Jean Baudrillard) und deshalb dereinst sogar fähig sein wird, sich
die Praxis der Egologie anzueignen. Jedenfalls läßt ein dort erschienenes
Buch - "Das Japan, das nein sagen kann" - diese Schlußfolgerung
zu. Autor Shintaro Ishihara sagt dreimal nein: "zum europäischen
Modernismus", "zum christlichen Hyperindividualismus"
sowie "zur geistigen Verkümmerung des Menschen und zum Chaos
in der amerikanischen Gesellschaft". Obgleich das Buch in mehrfacher
Hinsicht fragwürdig ist (zum Beispiel, inwiefern Hyperindividualismus
eigentlich christlich sei), hat es in Asien bereits Schule gemacht.
(Zunächst eiferte der malayische Ministerpräsident seinem "Lehrmeister"
nach und verfaßte mit ihm gemeinsam "Das Asien, das nein sagen
kann", sodann schrieben chinesische Autoren mit "China kann
nein sagen" einen Bestseller im Himmlischen Imperium.) Nach all
diesen Kriegen der Sterne fragt man sich nun: Was für eine Macht soll
da eigentlich mit uns sein?
* George Lucas, Regisseur
PS: "Die Macht wird mit dir sein...
Recken von einst
nach
20 Jahren: special edition
Tricksequenzen